Medizin, Recht und Wirtschaftlichkeit
Das Österreichische Gesundheitswesen. Teil 2: Prolog.
Ein offener Brief.
Präambel – was vorausgeschickt werden muss.
- Kern des Gesundheitssystems sind die Medizin und die Pflege.
- Der oberste Grundsatz in der Medizin primum nihil nocere bedeutet, dass Medizin nicht schaden darf.
- Aus dem obersten medizinischen Grundsatz: primum nihil nocere ergibt sich von selbst,
dass medizinische Leistungen ausreichend und zweckmäßig sein müssen, aber nicht überschießend sein dürfen.
- Aus sachlichen, fachlichen und bereits aus logischen Gründen ergibt sich, dass medizinische Leistungen sohin auch entsprechend wirtschaftlich sind, wenn sie das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
- Das Recht legt die Rahmenbedingungen für die Medizin fest. Medizin und Recht bedingen und beeinflussen sich gegenseitig. Die Medizin gestaltet und konkretisiert innerhalb der rechtlich vorgegebenen Rahmenbedingungen das Recht. Es gilt eine Defensiv-Medizin, sprich Pseudo-Forensik zu vermeiden.
- Das österreichische Gesundheitssystem ist trotz aller Kritik eines der besten Gesundheitssysteme auf der Welt.
- Das österreichische Gesundheitssystem ist eine Leistung von uns allen für uns alle. Wir finanzieren unser solidarisches Gesundheitssystem, seine Leistung und auch Forschung.
- All jene, die tagtäglich in und für unser Gesundheitssystem arbeiten, halten die hohe Qualität unseres österreichischen Gesundheitssystems aufrecht.
Kollektives Raunzen
Mittlerweile ist das kollektive Raunzen über das österreichische Gesundheitssystem im Mainstream angekommen. Unser Gesundheitssystem selbst sei schwer krank. Ein hoffnungsloser Patient, der totgesagt wird. Eine Genesung sei nur mit kollektiver Anstrengung möglich, tönt es medial in Zeitungen und im Fernsehen. Selbst ernannte Experten und Expertinnen verwässern die an sich wichtige Diskussion.
Gesundheitsexperten, die wenn überhaupt, nur selten Verantwortung für die medizinische Behandlung von Patienten und Patientinnen tragen mussten, resümieren über Effizienz und Effektivität am Krankenbett. Damit können sie auch medizinische Behandlungen beeinflussen, ohne je dafür persönlich Verantwortung tragen zu müssen.
Und mittlerweile möchten uns Health-Influencer in den Sozialen Medien die Welt erklären, wie sie sich diese vorstellen, aber wie die Welt am Krankenbett selten ist.
Ich frage mich, ob und wer für öffentlich verbreitete Gesundheitstipps haftet?
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Medizin? Prävention wie in der Steinzeit
Ja, es wäre gut und wichtig, wenn Herr und Frau Österreicher endlich versuchen würden, gesünder zu leben. Neben persönlichem Leid würde so auch unser Gesundheitssystem entlastet werden können.
Prävention ist hierzulande aber seit jeher ein Fremdwort.
Prävention wartet hierzulande endlich entdeckt zu werden. Auch das Feuer musste in der Steinzeit erst entdeckt werden, seine Vorzüge erkannt werden, um als selbstverständlich akzeptiert zu werden.
Die Politik diskutiert schon neue Steuern auf Zucker und andere ungesunde Lebensmittel. Als gelernter Österreicher weiß ich schon jetzt, dass eine neue Steuer nur Augenauswischerei ist. Weder eine Zuckersteuer noch eine Schnitzelsteuer, Leberkäsesteuer noch sonstige Steuern werden für das schlecht geredete Gesundheitssystem einen Vorteil bringen, sondern das Gegenteil bewirken. Starre ineffiziente Strukturen würden so nur fester denn je einzementiert werden.
Eine neue Steuer auf Zucker & Co wird – so der gelernte Österreicher – niemals ein Richtungsweisendes politisches Steuerungsinstrument sein. Vielleicht in anderen Ländern, aber sicher nicht hier, wie wir beispielsweise an der Tabaksteuer sehen können. Die Tabaksteuer ist nämlich viel zu niedrig, um Menschen tatsächlich vom Rauchen abzuhalten. Die Tabaksteuer ist aber hoch genug, um genügend Steuergeld in die Steuerkassen zu spülen, um Budgetlöcher zu stopfen. Auf Steuereinnahmen wird nicht gerne verzichtet. Das ist eine Augenauswischerei, Scheinmoral oder was auch immer, aber sicher nicht präventiv.
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Interessenskonflikt
Politiker/innen scheinen nur beschränkt in Wahlzyklen zu denken. Sie scheinen ausschließlich an den Stimmen, die für sie in der Wahlurne landen, interessiert zu sein. Das ist an sich nicht verwunderlich, schließlich verhelfen ihnen diese Wählerstimmen zu politischem Einfluss und Macht.
Aber: Was das Wahlvolk nicht hören will, wird nicht gesagt.
Im Gegenteil, es werden Ankündigungen und Versprechungen gemacht, von denen bereits klar ist, wenn sie ausgesprochen werden, dass sie nicht halten können. Ich erinnere zum Beispiel an die Zusammenlegung der Krankenkassen. Die mit der Zusammenlegung der Krankenkassen versprochene Patientenmilliarde müssen wir auch noch Jahre später mit der Lupe suchen.
Auch die elektronische Gesundheitsakte ELGA war zu ambitioniert. ELGA war als vielleicht als politisches Zielsteuerungsinstrument erdacht, aber sicherlich nicht zu Ende gedacht.
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Die Politik sollte Lösung, nicht Problem sein.
Die politisch Verantwortlichen haben über die letzten Jahrzehnte genügend Zeit und Geld gehabt, unser Gesundheitssystem so zu verbessern, dass wir alle in jedem kleinsten Winkel Österreichs so effizient und gut versorgt würden wie gut zahlende Patienten/innen in den viel zitierten Elite-Unis und -Kliniken in Übersee.
Es schien stets am Weitblick, der notwendigen Vision und dem Willen zu fehlen. Vielleicht fehlte es auch der Courage, zu ändern, was ineffizient oder gar ineffektiv ist, und zu verbessern, das sich bewährt hat?
Immer mehr Geld ins System zu pumpen, hatte noch nie gereicht und wird auch in Zukunft nicht zum Ziel führen. Das ist einfach nur dumm.
Gesundheitspolitik scheint nur dem politischen Selbstzweck einzelner weniger zu dienen, die sich erhoffen, mit Wahlversprechen wiedergewählt zu werden. Erinnerungen an Almosen der Obrigkeit wie den Haider-Hunderter werden wach. Brot und Spiele haben sich schon seit Jahrtausenden bewährt.
Leere politischen Versprechen und unausgegorene, nicht fertig gedachte Konzepte kosten leider nur viel Geld und bringen wenig. Im Gegenteil, sie perpetuieren die Ineffizienz bis zum Sankt Nimmerleinstag. Bis dahin, Schau’n ma‘ mal.
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Konzepte
Ich bin seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten überzeugt, dass es theoretisch sehr leicht wäre, das österreichische Gesundheitssystem in die richtige Richtung zu entwickeln.
Ich bin fest überzeugt, dass eigentlich nur an einzelnen wenigen Schräubchen in dem großen Getriebe Gesundheitssystem gedreht werden müsste, um viel zu bewegen.
Ein kleines Schräubchen in der Infrastruktur
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Ein kleines Schräubchen in der Ausbildung
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Ein kleines Schräubchen im Organisationsverschulden
Diese Punkte werden in den nächsten Teilen dieses mehrteiligen offenen Briefs näher beleuchtet.
Es gibt viel dazu zu sagen und differenziert zu diskutieren, bevor uns wieder unausgegorene nicht fertig gedachte Konzepte übergestülpt werden und abermals Unsummen an Steuergeld und Sozialversicherungsbeiträgen verschlungen werden.
Ein Drehen an diesen drei Schräubchen würde einen Neustart – Neudeutsch: Shutdown und Reboot – des Gesundheitssystems mit sich bringen.
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Raunzen, auch wenn es viele tun, hat noch nie geholfen.
Raunzen vernichtet Motivation und zerstört Diskussionen.
Es gilt, abzustellen, was ineffizient oder gar ineffektiv ist, und zu verbessern, was sich bewährt hat.
Lasst uns an den nächsten Schräubchen drehen!
Ihr
Fahmy Aboulenein-Djamshidian
Es ist nicht wichtig,
wer bewirkt,
sondern dass bewirkt wird.