Kunst
Ich hatte schon immer ein gewisses Faible für Kunst, für Künstler und Künstlerinnen. Ich wollte schon immer ein Künstler werden. Ich wollte immer schon ein Künstler sein.
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In der Schule lernte ich, dass Kunst ein Werk ist, das mit Fantasie und außerordentlichem Geschick, das heißt mit künstlerischem Können, geschaffen wird. Und dass Kunst wichtige Botschaften oder Gefühle zum Ausdruck bringen will, und auch sehr oft aufzeigen und provozieren will, um Aufmerksamkeit zu wecken und Bewusstsein zu schaffen.
Hierzu würde sich die Künstlerinnen und Künstler verschiedener Methoden wie dem Zeichnen, Malen, Bildhauerei, aber auch Musik, Tanz, Literatur und Architektur und vieles anderes mehr bedienen.
Kunst könne schön sein, müsse aber nicht schön sein. Denn wer sollte schon bestimmen dürfen, was als schön empfunden werden darf und was nicht? Schließlich leben wir in einer aufgeklärten Demokratie und nicht in einem totalitären Regime oder Autokratie, in der ein Diktator für uns alle bestimmt, welche Kunst als schön empfunden werden darf und was entartet ist. Außerdem ist Schönheit sehr subjektiv.
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Nichtsdestotrotz suche ich schon lange nach einer allgemein gültigen und leicht verständlichen Definition von Kunst.
Die Definition von Kunst sollte von allen Menschen gleich verstanden werden und wenn möglich auch ein gleiches Empfinden auslösen.
Diese Definition sollte nicht nur das reine methodische künstlerische Können beinhalten, sondern auch das gewisse Etwas, das Menschen unter dem Begriff Kunst verstehen und empfinden, aber sehr oft nicht auszudrücken vermögen.
Wenn jemand mit dem Pinsel und Farben virtuos umgehen kann, heißt dies, dass jemand eben mit dem Pinsel virtuos umgehen kann, aber grundsätzlich bedeutet das nicht mehr. Ein handwerklich ausgezeichnet gefertigtes Werk muss noch lange kein Kunstwerk sein.
Pablo Picasso hätte es nicht besser sagen können:
„Es gibt den Maler, der die Sonne in einen gelben Fleck verwandelt. Es gibt aber auch den Maler, der mit Geschick und Kunst einen gelben Fleck zur Sonne macht.„ (Pablo Picasso, 1881 – 1973)
Nicht für die Schule, sondern für’s Leben lernen wir…
Und ja, ich musste hier natürlich viele Jahrzehnte nach meiner Schulzeit Pablo Picasso zitieren, da ich damals in der Oberstufe noch viel weniger über Picasso und den Kubismus verstanden habe als heute. Noch viel schlimmer – ich hatte mich über Picassos Bilder lustig gemacht und spottete, dass dies wenig mit Kunst zu tun hätte, dass solche Bilder selbst Kinder aufs Papier brächten.
Ich war von einigen Werken des Fotorealismus wie einem Selbstporträt von Chuck Close einem riesigen Aquarell, das kaum von einer Fotografie zu unterscheiden war, tief beeindruckt, als ich bei einem Museumsbesuch davor stand. Ähnlich ging es mir bei einem Gemälde von Don Eddy aus dem Jahr 1971. Ich war nicht imstande das Bild Eddys – ohne Titel – von einer Fotografie zu unterscheiden. Die Reflexionen in der blank polierten Felge des VW-Käfers waren wie echt: hyperreal.
Ich fing zu bewerten an und entwertete schließlich.
Ich verkannte Kunst. Ich sah Kunst nur im meisterhaften, virtuosen Vermögen, den Stift, den Pinsel – das Werkzeug – zu benutzen und stellte somit bestimmte Kunstrichtungen wie den Realismus, insbesondere den Fotorealismus über andere. Und habe damit auch die Kunst und Kreativität des Fotorealismus verkannt, dessen Ziel es nicht war, die bessere Kamera zu sein. Ich verstand gar nichts. Ich verstand nicht, dass der Fotorealismus an sich Ähnlichkeiten zum Höhlengleichnis von Platon hatte und die Frage aufgriff, ob unsere Realität vielleicht auch nur Illusion ist, wenn Bilder als Realität verkannt werden? jene Frage, die auch zwei Jahrzehnte später im Blockbuster The Matrix publikumswirksam verarbeitet wurde.
Ich machte mich lächerlich und erkannte dies nicht.
Mein Lehrer meinte damals lapidar, dass ich meine Meinung gut vertrete, dass dem nichts hinzuzufügen sei. Er würde mich aber eines bitten: wenn es so leicht wäre, wie Picasso zu zeichnen oder zu malen, solle ich ihm doch schnell ein Bild mit dem Titel „Liebespaar“ oder „Die Liebenden“ malen.
In den folgenden drei Wochen bis zum Abgabetermin löste sich meine vorgefasste Meinung über Picasso, den Kubismus und die Kunst im Allgemeinen in Luft auf. Ich versagte jämmerlich. Jedes Kindergartenkind hätte die Aufgabe besser erfüllt als ich. Ich genierte mich – wegen der Pinselstriche und wegen meiner Ignoranz Picasso, dem Kubismus und anderen gegenüber.
Ich kann mich noch gut an mein Bild erinnern, das ich nach 3 Wochen meinem Zeichenlehrer abgeben musste: es war lächerlich naiv. Es war scheußlich anzusehen. Mein Lehrer meinte damals nur, dass es ihm gar nicht so schlecht gefallen würde… und dass Bilder nicht wichtig sind, sondern nur dass wir durch die Bilder lernen…
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Ich suche eine allgemein gültige Definition von Kunst ähnlich wie die Mathematik, die auf der ganzen Welt gleich ist und gleich verstanden wird. Schließlich sind eins und eins überall und egal in welcher Sprache zwei und nicht drei. Ich verstand schon in der Schule Mathematik als universelle Sprache der gesamten Menschheit und nicht Esperanto. Ich wurde belehrt, dass Zahlen keine Buchstaben sind und dass Menschen sich mit Mathematik nicht verständigen können, weil Zahlen keine Sprache machen.
Als ich meinte, dass Zahlen und vor allem Geld – die primitivste Form von mathematischem Allgemeinwissen – auf der ganzen Welt gleich verstanden werden, wurde ich belächelt, eigentlich ausgelacht.
Wie auch immer, ich selbst finde Kunst in jeder Form inspirierend, auch wenn mir viele Werke nicht gefallen. Trotzdem kann ich aber meine Gefühle und Vorstellungen, die der Begriff Kunst in mir auslöst, nicht wirklich so beschreiben, dass bei meinem Gegenüber die gleichen Gefühle und Vorstellungen geweckt werden wie bei mir. Das ist sicher nur deswegen so, weil ich bis heute nicht weiß, was Kunst ist bzw. was für uns Menschen der größte gemeinsame Nenner für Kunst ist.
Meine Vorschläge wären:
- Kunst ist künstlich Erschaffenes, nicht natürlich Entstandenes.
- Kunst ist künstlich Erschaffenes, das heißt von Menschenhand geschaffen.
- Kunst ist was kaum jemand sonst zu schaffen vermag.
Eins, zwei oder drei, oder doch eine ganz andere, viel bessere Definition?
Ich bin auf neue Vorschläge – auf Ihre Vorschläge – gespannt.
Ihr
fahmy.blog
P.S.
Die beiden Selbstporträts sind an sich bereits 2012 mit meiner Kompaktkamera entstanden, wurden von mir aber erst jetzt 2023 überarbeitet. Reiner Pragmatismus und der Datenschutz lassen mich auf Fotos von mir selbst – Neudeutsch Selfies – zurückgreifen, um nicht die Rechte anderer zu verletzen.
P.P.S.
Und nur um es nochmals gesagt zu haben, ich wollte schon immer Künstler werden, obwohl ich bis heute nicht weiß, was Kunst genau ist, und mein Talent mit der Lupe gesucht werden muss.
Harry
26/05/2023 @ 14:54
Platt – aber wienerisch; und somit wieder alles andere als platt: Johann Nestroy zugeschrieben wird „Kunst kommt von Können, und wenn man’s kann, ist es keine Kunst“
fahmy.blog
28/05/2023 @ 21:26
Ich habe Nestroy ja nie wirklich verstanden. So geht’s mir leider auch mit diesem Zitat.