Überschriften
„Du sollst nicht nur die Überschriften lesen!“
Medizinrecht
Vor kurzem fand ich auf der Suche nach einer bestimmten wissenschaftlichen Arbeit in meinen zahlreichen archivierten Ordnern auf meinem Computer meine erste (von zwei) Seminararbeit, die ich vor ein paar Jahren an der Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien geschrieben habe, um meine Diplomarbeit/Diplomarbeit-Modul abschließen zu können (§81 UG – Universitätsgesetz).
Ja, ich studierte vor Jahren Rechtswissenschaften.
Ich habe dieses Studium zwar nie abgeschlossen, aber den Wahlfachkorb Medizinrecht.
Ich bin überzeugt, dass ich ohnehin kein guter Jurist geworden wäre. So sehr mich die juristische Welt fasziniert und interessiert, so fern ist mir diese. Ich könnte nie so urteilen, nie so klagen oder anklagen und nie so verteidigen, wie dies von Richtern:innen, Staatsanwälten:innen und Rechtsanwälten:innen erwartet wird.
Ich glaube nicht, meine Voreingenommenheit und Urteil so ausschalten zu können, wie dies in einer unvoreingenommenen, neutralen Justiz – dem Fundament unseres Rechtsstaates – notwendig ist.
Medizinrecht ist nur ein Überschneidungsbereich mit der Medizin, meinem Brotberuf.
Über die Wichtigkeit der Begründung im Rechtsstaat
Um die erweiterte Ausbildung Medizinrecht abschließen zu können, musste ich eben auch zwei wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Der Rahmen der Themen war vorgegeben. Ich musste aus vorgegebenen gerichtlichen Entscheidungen und höchstgerichtlichen Erkenntnissen wählen und versuchen, mich der Materie wissenschaftlich zu nähern, zu analysieren und entsprechend in Wort und Schrift zu fassen. So wie ich dies von der Medizin und meinen wissenschaftlichen medizinischen Arbeiten ohnehin gewohnt war: Gleiches Muster – andere Inhalte. An sich nichts Neues.
***
Der ersten Arbeit gab ich den Titel „Über die Wichtigkeit der Begründung im Rechtsstaat„.
Ich hätte es auch einfacher ausdrücken können, nämlich: „Du sollst nicht nur die Überschriften lesen!“ – wie ich stets zu meinen eigenen Studenten und Studentinnen gesagt habe und nach wie vor empfehle, um nicht nur an der Oberfläche von Sachthemen zu kratzen, sondern diesen den gebührenden Tiefgang zu verleihen.
Es ist eine Unsitte und wird immer eine Unsitte bleiben, wissenschaftliche Arbeiten nur oberflächlich zu lesen und so zu zitieren, dass sie nur das eigene Weltbild, die persönliche, oft nicht neutral objektive Meinung „bestätigen“.
Die Gefahr ist, dass der Inhalt in den zitierten Arbeiten oder Beiträgen nicht auf die paar wenigen Worte einer Überschrift hinuntergebrochen werden kann, beziehungsweise die Arbeit manchmal völlig anderes aussagt, als die Überschrift eigentlich erwarten ließe.
Einen Höhepunkt dieser zu tiefst pseudowissenschaftlichen Zitierwut haben wir alle während der Corona-Pandemie erleben müssen.
Wir sehen die Aktualität dieses eigentlichen Themas – die Oberflächlichkeit – in nahezu jedem Bereich unseres aktuellen Lebens, spätestens wenn wir ins Internet eintauchen.
Ihr
fahmy.blog
P.S. Falls Sie die Arbeit als PDF haben möchten, können Sie mich gerne über das Kontaktformular kontaktieren oder mir gerne eine Email schreiben.
Das Foto: Juridicum, (c) 2023, fahmy.blog
Die Arbeit, 19.06.2015:
Über die Wichtigkeit der Begründung im Rechtsstaat.
Inhaltsverzeichnis
Geschlechterneutrale Formulierung
Sehr bewusst habe ich versucht, beide Geschlechter sprachlich abzubilden. Aus diesem Grund habe ich auf die zumeist verwendete – ›sogenannte‹ geschlechterneutrale maskuline Form -, aber auch auf andere umstrittene Stilmittel bewusst verzichtet. Diese wirken meines Erachtens ohnehin nur wie eine unausgegorene Notlösung, ›krampfhaft aufgepfropft‹ und stören zumeist nur den Lesefluss, womit sie verständlicherweise auch auf wenig Akzeptanz stoßen. Ich meine Stilmittel wie: (1) das strikte Anführen der männlichen und weiblichen Form, (2) Schrägstrich, (3) das Binnen-I, (4) die Lexem-Unterscheidung, (5) die Hyperkorrektur, (6) die Hyper-Parallelisierung und (7) das strikte alternierende Verwenden der grammatikalisch männlichen und weiblichen Form.
Die besagten Stilmittel schöpfen meines Erachtens ihre Berechtigung aber aus ihrer polarisierenden Eigenschaft, mit der sie zur breiten gesellschaftlichen Diskussion anstoßen. Leider erzielen sie nur selten die weitreichende, allgemeine Akzeptanz bei Männern, aber auch bei Frauen, die sich ihre Befürworter so sehr wünschen. Sehr oft ist das Gegenteil der Fall. Diese Stilmittel führen zu breiter Ablehnung und dies bei beiderlei Geschlecht. Die Gründe hierfür sind nur allzu offensichtlich und sind meines Erachtens nicht nur im stark beeinträchtigten Lesefluss zu suchen:
Die Sprache ist Ausdruck menschlichen Bewusstseins, Gedanken und Ausdruck fortentwickelter, individueller menschlicher Identität und Persönlichkeit. Die Sprache ist untrennbar mit jedem Menschen verbunden und seit Geburt ›in sich‹ und mit der Umwelt gewachsen. Wir haben uns an unsere Sprache ›gewöhnt‹, wir sind mit und durch unsere Sprache und sind natürlich – wie in uns selbst – auch in unsere Sprache natürlich ›ein wenig verliebt‹. Die eigene Sprache nicht zu mögen würde psychoanalytisch bedeuten, sich selbst nicht zu mögen. Sprachlich Ungewohntes trifft grundsätzlich auf Argwohn und wenig Akzeptanz, weswegen sprachliche Änderungen sehr behutsam vorgenommen werden müssen, um in ›unsere‹ alltäglich verwendete Sprache einfließen zu können. Die Sprache ändert sich ohnehin permanent, weil sich alles Andere ändert: Menschen, Ansichten und die Gesellschaft.
Ein behutsamer sprachlicher Umgang miteinander spiegelt einen wertschätzenden Umgang der Menschen miteinander wider. Umso mehr habe ich versucht, den Text dieser Arbeit so zu gestalten, dass sich Frauen als auch Männer gleichermaßen abgebildet sehen, ohne auf die umstrittenen Stilmittel zurückzugreifen. Vielleicht gelingt es erst dadurch ›tatsächlich‹ geschlechtsneutral zu formulieren, ohne ein Geschlecht zu ›bevorzugen‹ und den Lesefluss zu stören. ›Tatsächlich‹ geschlechtsneutral bzw. gendersensibel zu formulieren, mag vielleicht ungewöhnlich sein und ist an manchen Textstellen sehr schwierig umzusetzen. In den einzelnen Passagen, wo es mir nicht möglich war, habe ich direkt beiderlei Geschlecht angesprochen, um die Sprache nicht zu verbiegen oder brechen.
In jenen Passagen, in denen überwiegend oder ausschließlich von Frauen oder Männern die Rede ist, sind auch eben überwiegend oder nur Frauen oder Männer gemeint. Ich hoffe, dass mir dies gelungen ist.
***
1 Einleitung.
»Männer dürfen – und sollen auch mE – positiv diskriminiert werden, um tatsächliche Benachteiligungen von Frauen zu beseitigen und tatsächliche Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu bewirken. Die positiv diskriminierenden Maßnahmen müssen aber gem Art 7 Abs 2 B-VG und § 8 GlBG geeignet und insbesondere verhältnismäßig sein, um die daraus resultierende Ungleichbehandlung von Männern rechtfertigen zu können.
Ob eine positiv diskriminierende Maßnahme geeignet ist, zeigt neben der Theorie auch die tatsächliche Umsetzung der Maßnahme in die gelebte Praxis unseres Alltags.
Ob eine positiv diskriminierende Maßnahme als verhältnismäßig bewertet werden kann, ist eine Frage der Fakten und sachlichen Argumentation darüber, sprich der Begründung.
Fehlt es an der Umsetzbarkeit, wird das angestrebte Ziel der Gleichbehandlung und iwF das Ziel, Chancengleichheit zu ermöglichen und Gleichstellung zu erreichen, ohnehin verfehlt.
Fehlt es an der sachlichen Argumentation und Begründung positiv diskriminierender Maßnahmen, sprich an der Verhältnismäßigkeit, und würden die Maßnahmen trotzdem ein- oder umgesetzt, kann die Ungleichbehandlung von Männern jedenfalls nicht mehr gerechtfertigt werden. Dadurch wären die Maßnahme(n) gesetzeswidrig und somit unzulässig und abzustellen.
Mit seinem rezenten Erk V54/2014 [1] zur Vergabe von Kassenverträgen hat der VfGH ohne Zweifel gleichstellungspolitisch agiert und postuliert, dass aus ›objektiven‹ Gründen iS des Art 7 Abs 1 B-VG die absolute Anzahl und der relative Anteil von Krankenkassen-Vertragsfachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erhöht werden muss und die Benachteiligung männlicher Mitbewerber durch die Reihungskriterien-VO [2] des Ministers für Gesundheit sachlich gerechtfertigt und zulässig ist. Nach Erk V54/2014 des VfGH (großer Senat: 8 Richter und 5 Richterinnen) würden sich Frauen viel lieber von Ärztinnen gynäkologisch untersuchen lassen, worauf sie als Pflichtkrankenversicherte grds auch einen Anspruch hätten, von einer Frau und nicht von einem Mann untersucht zu werden, wenn sie dies wünschten. Aus diesem Grund müssten die gesetzlichen Krankenkassen dafür sorgen, dass genügend Kassenplanstellen mit Vertragsfachärztinnen besetzt werden, um den Anspruch ihrer pflichtversicherten Patientinnen zu erfüllen.
Solange zu wenig Vertragsfachärztinnen ordinieren würden, wären 10 Prozent der Gesamtpunktezahl zusätzlich für Mitbewerberinnen einer Kassenplanstelle für Frauenheilkunde und Geburtshilfe iS des Art 7 Abs2 B-VG und § 8 GlBG eine nicht unverhältnismäßige, positiv diskriminierende Maßnahme, die geeignet wäre, die Benachteiligung und Ungleichbehandlung pflichtkrankenversicherter Patientinnen abzustellen.
Auch wenn ein Einzelkassenvertrag unbestritten – wie auch der VfGH in seinem Erk V54/2014 ausführt – wirtschaftlich wertvoll ist, wiegen die Ungleichbehandlung von Patientinnen durch den nicht erfüllten Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen deutlich schwerer als die Benachteiligung der Mitbewerber, die durch die Reihungskriterien-VO des Bundesministers und der LÄK Salzburg resultiert. Dass die Reihungskriterien-VO Bewerber und Bewerberinnen ungleich behandelt und Bewerber benachteiligt, ist unbestritten. Ob diese Maßnahme tatsächlich nicht verhältnismäßig ist und noch viel wichtiger, tatsächlich geeignet ist, die Ungleichbehandlung mit den gelindesten Mitteln abzustellen, ist mindestens genauso unklar wie die Begründung im Erk V54/2014 des VfGH für die Rechtfertigung dieser diskriminierenden Maßnahme durch den Bundesminister für Gesundheit und die LÄK Salzburg. Bei näherer Betrachtung erscheinen die diskutierten und als ›objektiv‹ postulierten Gründe, aber gar nicht mehr ›objektiv‹, sondern scheinen kaum nachvollziehbar und bisweilen rein ›subjektiv‹.
Die Begründung basiert iW auf der sachlich nicht nachvollziehbaren Interpretation statistischer Daten und Argumentation aus einem Meinungsartikel der in einem populär-wissenschaftlichen Magazin – der ÖKZ [3] – erschienen ist. Die ÖKZ ist jedenfalls kein internationales, wissenschaftliches peer-review Journal.
Wie das Wesen von Meinungsartikeln ist, ist auch dieser überspitzt formuliert; konkret, bei diesem Meinungsartikel ist eigentlich leicht erkennbar, dass die beiden Autorinnen und Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Schuchter und Krumpl-Ströher ihren Artikel auch sicher nicht unvoreingenommen, wertneutral und vorurteilsfrei verfasst haben. Leider haben die beiden Autorinnen alle in ihrem Meinungsartikel zitierten wissenschaftlichen Arbeiten [4], [5], [6],[7] unrichtig zitiert und interpretiert; die zitierten wissenschaftlichen Studien sind in internationalen, hochrangigen und renommierten peer review Journalen erschienen.
Beispielsweise fassen Howell et al, unmissverständlich und widersprüchlich zu Schuchter und Krumpl-Ströher ihre Daten wie folgt zusammen: »[…] Our study found that a majority of women did not prefer a female obstetrician. Our results suggest that physician gender is less important to patients than other physician characteristics. […]« [8] und
Bertakis et al mahnen zur Vorsicht vor etwaigen Störvariablen und zur vorsichtigen Interpretation: » […] This study underscores the importance of careful measurement and control of potential confounding factors in clarifying the impact of physician gender on practice style. […]« [9]
Der Meinungsartikel [10] ist zweifellos polarisierend und erfüllt auch nicht die herkömmlichen Kriterien (medizinisch) wissenschaftlicher Arbeiten [11]. Im Gegenteil, die beiden Autorinnen geben die Primärdaten unvollständig, und dadurch ›verzerrt‹ oder einfach gesagt, von vornherein unrichtig wieder. Dass sich sowohl die Primär- als auch Sekundärliteratur mit den gleichen, eigenartigen Schlussfolgerungen wie im Meinungsartikel auch im Erk V54/2014 wiederfindet, ist eigenartig – die Gründe hierfür sind aus dem Erk V54/2014 aber selbst nicht ersichtlich. Es ist aber mit Sicherheit rechtsstaatlich von Bedeutung, wenn die Fakten, auf denen das Erk beruht, unrichtig sind.
Insbesondere stellt sich die rechtspolitische und rechtstheoretische Frage, was ein richterliches Urteil bzw. höchstrichterliches Erk tatsächlich wert ist, wenn die Begründung auf unrichtigen Annahmen und Zahlen beruht, dh wenn die Begründung des Erk, die ja zu dem Urteil oder der Entscheidung geführt haben muss, einfach nicht richtig ist und einfach nicht objektivierbar ist, aber das Urteil bzw. Erk trotzdem gültig ist, weil es eben von einer rechtlichen Autorität, hier idF dem VfGH, stammt?
Genau diese Kernfrage kreist neben der Frage, ob Menschen grds den Anspruch haben, von Personen des gleichen Geschlechts an ihrem Körper untersucht zu werden und wenn ja, ob dies hieße, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen in Österreich ihren Pflichtkrankenversicherten ggü verpflichtet wären, die Erfüllung dieses Anspruchs zu ermöglichen, und warum dies nur für das Fach Frauenheilkunde und Geburtshilfe gelten sollte? – die meisten klinischen Fächer dringen mitunter tief in die Privat- und Intimsphäre der Untersuchten ein.
Ich wage zu behaupten, dass in einer Demokratie und rechtsstaatlichem System nur in den allerseltensten Fällen ›der Zweck die Mittel heilen darf‹, dass rechtsstaatlich, aber auch rechtspolitisch die Begründung noch viel wichtiger als die Entscheidung selbst ist, auch wenn man selbst die politische Absicht dahinter teilt, Gleichstellung begrüßt und das höchstgerichtliche Urteil bzw Erk deswegen grds im Ergebnis befürworten mag.
Wäre dem nämlich nicht so und würden die Erk jeder objektiven und rationalen Grundlage entbehren, dann würden sie von den Rechtsunterworfenen nur als willkürliche Dogmen von ein paar Richtern und Richterinnen wahrgenommen werden. Konkret in diesem Erk VfGH V54/2014-20 könnte der Anschein erweckt werden, dass die mehr als 16 Seiten lange Argumentation der Begründung des Erk nur den notwendigen ›objektiven Anstrich‹ geben soll, um ihre Entscheidung nicht nur durch das angestrebte, gesellschaftlich und politisch akzeptierte Ziel alleine rechtfertigen zu müssen, sondern eben durch eine objektive und rationale Begründung ›belegen‹ bzw ›erörtern‹ zu können.
Überspitzt formuliert, die Begründung wiegt mE rechtstheoretisch [12], rechtspolitisch und für die Akzeptanz aller Beteiligten und Betroffenen sehr oft mehr als die Entscheidung selbst. »Der Zweck darf die Mittel nicht ohne weiteres heiligen, bzw der Zweck heiligt die Mittel nicht. Zumindest nicht immer.«
2 Der Anlassfall.
Der Anlassfall, der zu dem hier diskutierten VfGH Erk V54/2014 führte, sei wie folgt kurz skizziert: Ein Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe hat sich bei mehreren gesetzlichen Krankenkassen um einen Einzelvertrag für eine Kassenplanstelle als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe beworben. Er wäre mit 70 von insgesamt für beiderlei Geschlecht möglichen 75 Punkten im vorgeschalteten Auswahlverfahren an dritter Stelle gereiht gewesen. Die beiden mitbewerbenden Fachärztinnen hätten 78.75 bzw. 71 Punkte erzielt, wobei die Bewerberinnen aber zehn Prozent der möglich erreichbaren Gesamtpunkteanzahl von an sich 75 Punkten, dh 7.5 Punkte, aufgrund ihres weiblichen Geschlechts erhalten hatten. Ohne diese Zusatzpunkte hätten sie demnach ›nur‹ 71.25 und 63.5 Punkte gehabt. Nach Ansicht des Klägers bestünde die Ungleichbehandlung seiner Person darin, dass er selbst nach Ausschöpfen aller für ihn als Bewerber möglichen Punkte auch dann einer Mitbewerberin nachgereiht würde, wenn diese fachlich weniger geeignet wäre als er selbst, und dies selbst dann, wenn der Bewerber (hier: der Kläger) alle für ihn als Mann möglichen erreichbaren Punkte ausgeschöpft hätte; und dies nur weil das Auswahlverfahren einen unverhältnismäßig großen Punktevorsprung für Frauen vorsieht.
Dabei käme es – so die Behauptung des Klägers als auch des LG Salzburg und auch der unrichtig zitierten Primärliteratur [13] den allermeisten Patientinnen in erster Linie darauf an, fachlich gut behandelt und beraten zu werden, gleich ob dies durch einen Facharzt oder eine Fachärztin geschehe. Lieber schlecht behandelt zu werden als unbedingt von einem Mann oder vice versa von einer Frau behandelt zu werden, kommt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur selten vor [14] und ist, wenn überhaupt, va primär eine Frage der Aufklärung und erst sekundär eine Frage der religiösen Weltanschauung oder des sexuellen Empfindens der Frauen [15]. Außerdem sind mW ernsthafte, wissenschaftliche Erhebungen darüber, wie viele muslimische Frauen tatsächlich eine Behandlung durch einen Arzt kategorisch ablehnen würden, genauso wenig bekannt, wie der Prozentsatz der muslimischen Patientinnen, die eine gynäkologische Untersuchung nur deshalb ablehnen, weil ihr Partner, dh idR ihr Gatte, Familie, aber auch Bekannte, die Patientin ausschließlich von einer Ärztin untersucht wissen wollen und demnach gehörigen Druck auf die Patientinnen ausüben oder eben darauf bestehen, als ›Aufsichtspersonen‹ bei den gynäkologischen Untersuchungen dabei zu sein [16]. Konkrete wissenschaftliche Studien darüber sind aber bisweilen nicht veröffentlicht [17], wodurch eine weitere wissenschaftliche Untermauerung derzeit nicht möglich ist.
Wie auch immer, in vielen orientalischen bzw. moslemischen Ländern, aber auch in Österreich gibt es sehr viele Frauenärzte, die sehr wohl auch muslimische Patientinnen in nicht-Notfallsituationen behandeln und betreuen, wodurch das vermittelte Bild und Argumentation im Erk V54/2014 darüber unvollständig erscheint. Die Hintergründe sind vielschichtig und müssen differenziert betrachtet werden [18].
Die gesetzliche Grundlage für den Punktevorsprung im (beklagten) Auswahlverfahren findet sich jedenfalls in § 2 Abs 1 Z5 und § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 der sogenannten Reihungskriterien-VO [19] des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, die »bei im Sonderfach „Frauenheilkunde und Geburtshilfe“ ausgeschriebenen Einzelverträgen die durch das weibliche Geschlecht zusätzliche vermittelbare besondere Vertrauenswürdigkeit« (§ 2 Abs1 Z5) eben »nach § 2 Abs.1 Z5 zehn Prozent der durch die jeweiligen Gesamtvertragsparteien festgelegten erreichbaren Punkte« (§ 3 Abs 1 Gedankenstrich 5) vorsieht. Die Reihungskriterien-VO hat ihre eigene gesetzliche Grundlage wiederum in § 343 ASVG und hat »[…] jedenfalls dem Gleichheitsgebot, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958, zu entsprechen. […]« § 343 Abs 1a leg cit. Die Reihungskriterien-VO ist jedenfalls ordentlich kundgemacht (BGBl II 487/2002 idF BGBl II Nr 239/2009) und hiermit im Gegensatz zu einem nicht ordentlich kundgemachten ministeriellen Erlass auch rechtlich verbindlich, auch wenn sie das Gleichbehandlungsgebot gem Art 7 Abs 2 B-VG und § 8 GlBG verletzt, bis sie (als gesetzeswidrig) aufgehoben wird.
Die Differenzierung bzw Diskriminierung nur nach dem Geschlecht wäre unsachlich und damit unzulässig, weswegen der in der Bewerbung unterlegene Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe die LÄK Salzburg beim LG Salzburg klagte, die Anwendung von § 3 Abs 6 Z 6a der Richtlinien der LÄK Salzburg zu unterlassen. § 3 Abs 6 Z 6a leg cit ist dem Wortlaut von § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 der Reihungskriterien-VO des Bundesministers für Gesundheit nahezu identisch und sieht eben 10% der Gesamtpunkteanzahl, dh 7.5 von 75 Gesamtpunkten, für sich um eine Kassenplanstelle bewerbende Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zusätzlich vor, weil »[…] das weibliche Geschlecht gerade im Fach Frauenheilkunde und Geburtshilfe ein besonders berücksichtigungswürdiges Interesse habe.« (§ 3 Abs 6 Z 6a der Richtlinien der LÄK Salzburg) [20].
Das LG Salzburg folgte der Begründung des klagenden Facharztes für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und beantragte beim VfGH gem Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG die § 2 Abs 1 Z 5 und § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 der Reihungskriterien-VO als gesetzwidrig aufzuheben. Die Ungleichbehandlung beruhe ausschließlich auf dem Geschlecht und entbehre jeder weiteren sachlichen Grundlage, womit nach ständiger Judikatur »die VO den Gleichheitsgrundsatz verletze, da sie eben auf einem gleichheitswidrigen Gesetz beruhe oder eben eine (positiv) diskriminierende Maßnahme vorsehe, die sachlich nicht gerechtfertigt ist« [21].
Trotz der zumindest vordergründig schlüssigen Argumentation des Klägers und des LG Salzburg wies der große Senat des VfGH den Antrag des LG Salzburg gem Art 139 Abs 1 Z 1 B-VG, die § 2 Abs 1 Z 5 und § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 der Reihungskriterien-VO als gesetzwidrig aufzuheben, zurück. Die 8 Richter und 5 Richterinnen des großen Senats sahen den Punktevorsprung von 7.5 Punkten (insgesamt 10% der maximal für Männer erreichbaren Gesamtpunkteanzahl) sachlich gerechtfertigt und nicht zu hoch.
Kern der Argumentation des VfGH im Erk V54/2014 ist, dass Frauen die Möglichkeit gegeben werden muss, als pflichtversicherte Patientinnen ihre gynäkologischen Untersuchungen bei Fachärztinnen durchführen lassen zu können, wenn sie dies wünschten, und dass ein Punktevorsprung von nur 10 Prozent va deswegen nicht unverhältnismäßig hoch sei, weil sich seit in Kraft treten der 3. Änderung der Reihungskriterien-VO durch BGBl II Nr 239/2009 die Zahl von Vertragskassenfachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, dh in den letzten drei Jahren, ohnehin nur im geringen Ausmaß erhöht hätte.
Leider wird in dem Erk V54/2014 nicht ausgeführt, wie ›objektiviert‹ wurde, ob die Maßnahme gem § 2 Abs 1 Z5 und § 3 Abs 1 Gedankenstrich 5 der beanstandeten Reihungskriterien-VO überhaupt wirksam wurde und wenn ja, ob die ministerielle Maßnahme für den geringen prozentuellen Anstieg von Frauen bei den neu besetzten Kassenplanstellen kausal war. Denkbar wäre auch, dass der Anstieg auf einen an sich höheren Anteil von Bewerberinnen zurückzuführen wäre, und auf die seit Jahren beobachtete Zunahme von Frauen in der Medizin und insbesondere in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe zurückzuführen ist. Denn wenn dem so sei und dies insbesondere im Sonderfach Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Fall wäre, dann wäre die Benachteiligung von Männern bei einer an sich kaum greifenden Maßnahme, die das reklamierte Ziel gar nicht erreichen kann, sondern tatsächlich nur durch einen an sich steigenden Anteil von Frauen in der Medizin bedingt ist, gem Art 7 Abs und Abs 2 B-VG, nicht zu rechtfertigen; und diese Maßnahme wäre auch dann nicht zu rechtfertigen, wenn immer noch zu wenige Kassenplanstellen mit Fachärztinnen besetzt wären und der Anspruch von pflichtversicherten Patientinnen nicht erfüllt wäre.
Eine ein Geschlecht benachteiligende Maßnahme muss zumindest geeignet sein, die Benachteiligung des anderen Geschlechts, die sie beseitigen soll, auch tatsächlich zu beseitigen. Wenn die Maßnahme weder geeignet noch verhältnismäßig ist, ist sie verfassungsrechtlich gem Art 7 Abs 2 B-VG einfach nicht zu rechtfertigen. Daran würde auch die im VfGH postulierte Geringfügigkeit der Maßnahme nichts ändern, dass sich bewerbende Fachärztinnen ohnehin nur einen geringen Punktevorsprung von nur 7.5 zusätzlichen Punkten bei 75 Gesamtpunkten bekommen. Wenn eine Maßnahme gem Art 7 Abs 2 B-VG nicht gerechtfertigt werden kann, ist es unerheblich, ob sie nur in geringem oder doch beträchtlichem Ausmaß ihre diskriminierende Wirkung entfaltet. Sie wäre so oder so nicht zu rechtfertigen und abzustellen.
Bei solchen Auswahlverfahren und selbst bei diversen Quotenregelungen wurde und wird stets die fachliche Qualifikation an erster Stelle gestellt. Die fachliche Qualifikation zu ignorieren und jemand weniger geeigneten nur wegen des Geschlechts zu bevorzugen, hat nichts mit ›Gleichstellung‹ zu tun (siehe Näheres in 3). Dass eine geringere Punktezahl für die fachliche Eignung durch Punkte aus anderen Kategorien – vielleicht sogar durch Zusatzpunkte für die durch das weibliche Geschlecht vermittelte besondere Vertrauenswürdigkeit – kompensiert oder übertrumpft würde, wäre in jedem Fall – auch nach der Interpretation des VfGH im Erk V54/2014 nicht gerechtfertigt: »2.4.2. Das Antragstellende Gericht verkennt mit seinem Argument, wonach die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt sei, weil sich Männer und Frauen in den fachlichen Fähigkeiten nicht unterscheiden würden, das Anliegen des Verordnungsgebers, der die medizinischen Fähigkeiten männlicher Fachärzte der Frauenheilkunde keineswegs als jene der weiblichen Fachärzte bewertet: […]«.
Ob dies im vorliegenden Fall, wie von dem Kläger behauptet, tatsächlich der Fall gewesen ist, kann aus dem Erk V54/2014 alleine [22] nicht abschließend beurteilt werden, ist aber für die weitere wissenschaftliche Betrachtung der Thematik hier nicht von Belang. Genauso wenig sollen auch die Reihungskriterien der LÄK (oder die Reihungskriterien-VO des Bundesministers) an sich, die aus vielen unterschiedlichen Gründen insbesondere inhaltlich sehr umstritten [23] sind, hier betrachtet werden.
3 Von der Gleichberechtigung zur Gleichstellung.
Die tatsächliche Gleichstellung zwischen den Geschlechtern ist ein seit langem allgemein anerkanntes, gesellschaftliches und politisches Ziel, sowohl international als auch national. Jedem Menschen werden Würde, Freiheit und die gleichen Rechte und mittlerweile auch die gleichen individuellen, persönlichen, beruflichen und privaten Entfaltungsmöglichkeiten ohne Unterschied des Geschlechts, aber auch tatsächliches geschlechtliches Zugehörigkeitsgefühl, Rasse, Religion sowie politische Weltanschauung zugestanden. Dies bedeutet aber nicht, dass irgendjemand ›die tatsächliche‹, ›faktische Gleichheit‹ anstreben würde, die ja ›faktisch‹ unmöglich ist. Niemand meint oder würde mit den Bemühungen um die Gleichstellung anstreben, dass alle Menschen tatsächlich gleich würden, gleich aussehen würden und das Gleiche täten. Überspitzt formuliert, niemand möchte 9 Milliarden menschliche Klone, die allesamt gleich sind, gleich aussehen, das Gleiche tun usw. Vielmehr geht es um die Chancengleichheit, die allen Menschen als gleichberechtigte Rechtssubjekte die gleichen Chancen einräumen soll, um sich persönlich frei entfalten zu können und ohne diskriminierende Schranken am öffentlichen, aber auch privaten Leben teilnehmen und teilhaben zu können. Gleiche Chancen haben, heißt noch lange nicht, dass alle Individuen ihre gleichen Chancen auch tatsächlich nutzen – aber sie könnten, wenn sie wollten.
Die Begriffe ›Gleichberechtigung‹, ›Gleichbehandlung‹, ›Gleichstellung‹ und ›Chancengleichheit‹ werden sehr oft synonym verwendet, sind aber strikt voneinander zu unterscheiden, da ihre begriffliche Weite unterschiedlich ist. ›Gleichberechtigung‹ bedeutet nicht mehr, als dass Rechtssubjekte – im gegenständlichen Fall Frauen und Männer – juristisch die gleichen Rechte haben. Der Begriff ›Gleichberechtigung‹ sagt aber nichts über die Chancen der einzelnen Rechtssubjekte, ihre Rechte zu verwirklichen, aus und sagt auch nichts über die tatsächliche Verwirklichung der gleichen Rechte der gleichberechtigten Rechtsubjekte aus. Der Begriff ›Gleichbehandlung‹ geht weiter als der Begriff ›Gleichberechtigung‹: Frauen und Männer sind nicht nur gleichberechtigt, dh sie haben nicht nur die gleiche Rechte, sondern sie sind auch gleich zu behandeln, dh jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts ist zu unterlassen. Diskriminierung bezeichnet die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern, die sachlich nicht zu rechtfertigen ist und ausschließlich aufgrund ihres Geschlechts erfolgt.
Die ›faktisch‹ gleiche Behandlung von Männern und Frauen kann aber auch nur dem Anschein nach objektiv und neutral und trotzdem sehr wohl diskriminierend sein. Sohin muss Gleichbehandlung noch lange nicht die ›Chancengleichheit‹ beider Geschlechter gewährleisten. Aus diesem Grund rückt immer mehr der Begriff der ›Gleichstellung‹ in den Vordergrund. Männer und Frauen ›gleichzustellen‹ heißt Männern und Frauen, unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Chancen zur persönlichen und beruflichen Entwicklung und die gleichen Zugangschancen zu öffentlichen Ressourcen zu geben. Die ›Chancengleichheit‹ ist sohin ieS jenes politische bzw. rechtliche Instrument, das die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern trotz ihrer unterschiedlichen und nicht wegzuleugnenden Biologie ermöglichen und bewirken soll. IdS können (und sollen nach Ansicht des Autors), um das politisch-gesellschaftliche gewünschte Ziel zu erreichen, bestimmte Maßnahmen auch das jeweils andere Geschlecht – idR Männer – benachteiligen. Positiv diskriminierende Maßnahmen sind aber nur dann gerechtfertigt, wenn sie gem Art 7 Abs 2 B-VG eine tatsächliche Ungleichbehandlung überhaupt zu beseitigen vermögen und verhältnismäßig sind. Dh die Maßnahmen müssen sachlich gerechtfertigt sein.
Es stellt sich grds die Frage, ob mit dem Begriff der ›Chancengleichheit‹ auch das subjektive Recht einer Frau erfasst ist, wählen zu dürfen, von einer Ärztin oder doch einem Arzt untersucht zu werden, (2) ob Frauen zumindest für gynäkologische Routineuntersuchungen einen Anspruch darauf haben sollen, wenn sie dies wünschen, von einer Frau untersucht zu werden, (3) ob die Krankenversicherung ausreichend viel Kassenplanstellen mit Frauenärztinnen besetzen müssen, damit Frauen überhaupt die Möglichkeit haben, frei zu wählen, (4) ob diese Wahlfreiheit auch auf andere medizinische Fachdisziplinen (zB die Urologie) ausgeweitet werden soll und (5) ob vice versa nicht auch Männer die gleiche Wahlfreiheit wie Frauen haben sollten?
4 Der Anspruch, von einer gleichgeschlechtlichen Person untersucht zu werden.
Da es unbestritten ist, dass es in Österreich sehr wenige Vertragskassenfachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe gibt – auf eine Fachärztin kommen in manchen Bundesländern ca. an die 7 bis 9 Fachärzte [24], [25] – könnte die Reihungskriterien-VO als positiv diskriminierende Maßnahme zu bejahen sein, wenn Menschen – insbesondere auch Frauen – grds einen Anspruch hätten, von einer gleichgeschlechtlichen Person untersucht zu werden.
Für unser heutiges Verständnis wäre eine Untersuchung durch gleichgeschlechtliche Personen jedenfalls für viele Bereiche außerhalb der Medizin weder abwegig noch zu weit hergeholt: und dies, (1) obwohl die körperlichen Untersuchungen der öffentlichen und damit der eigenen Sicherheit dienen (zB im Flugverkehr), (2) die untersuchten Personen grds angezogen und nicht nackt sind, und (3) die Untersuchungen an sich die Privatsphäre mE nur wenig berühren, weil sie sehr ›rasch‹ durchgeführt und im Vergleich zu gynäkologischen und urologischen Untersuchungen wenig ›eindringlich‹ bzw. ›invasiv‹ sind, auch wenn dies mit einem Abtasten va des Raums unter der weiblichen Brust und im Schritt und Gesäß von Männern und Frauen verbunden ist, um Drogen, gefährliche Gegenstände, Waffen und Sprengladungen etc. zu entdecken. Wobei hier die Schwelle dessen, was die Privatsphäre berührt oder verletzt, individuell sehr unwahrscheinlich sein kann und die Raschheit und Flüchtigkeit eines Ereignisses für die sogenannte Erheblichkeitsschwelle ausschlaggebend sein kann, aber nicht mehr. Mit der öffentlichen Sicherheit konkurrieren jedenfalls der Schutz der Privatsphäre eines Menschen (Art 8 EMRK) und der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und psychischen Integrität.
Mittlerweile haben jedenfalls in vielerlei Situationen unseres Alltags manuelle Sicherheitskontrollen idR durch gleichgeschlechtliche Personen zu erfolgen: wie beispielsweise die Sicherheitskontrollen von Gerichtshandlungen und auswärtigen Gerichtshandlungen gem § 3 Abs 2 Gerichtsorganisationsgesetz, die manuellen Sicherheitskontrollen am Flughafen gem § 3 Luftfahrtsicherheitsgesetz 2011, aber wie auch die zahlreichen Hausordnungen von privaten Unternehmen wie zB die Personen-Sicherheitskontrollen in großen Fußball-Stadien, Rockkonzerten [26] usw belegen.
Es ist heutzutage üblich und wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern erwartet, dass die Kontrollen von gleichgeschlechtlichen Personen durchgeführt werden, va wenn die Situation voraussehbar und deswegen planbar war, und auch vermeidbar gewesen wäre, wenn im Vorhinein für genügend männliche und weibliche Sicherheitskräfte gesorgt worden wäre.
Selbst die Diskussion um die neuen ›Nacktscanner‹ auf den Flughäfen ist in dieser Weise schlüssig und konkordant: die Menschenwürde und Privatsphäre würden berührt, obwohl die Untersuchten weder körperlich berührt werden noch sich entblößen müssten und uU nicht einmal bemerken würden, dass sie untersucht würden. Ob der heiklen Thematik wird versucht, die Sicherheitskontrolle mit Nacktscannern zu entschärfen: Erstens, werden die auswertenden Sicherheitskräfte, dh diejenigen die die Scans betrachten, räumlich von den Untersuchten getrennt. Zweitens, sollen sogar die Gesichter der Untersuchten auf den Scans unkenntlich gemacht werden , dh die Sicherheitskräfte, die die Scans betrachten, wissen nicht, wessen nackte – im Computer rekonstruierte – Körperoberfläche sie tatsächlich sehen. Und selbst hierbei wurde und wird kontrovers diskutiert und zB seitens der EU-Kommission empfohlen, dass »die detaillierte Auswertung von Abbildern von einer Person desselben Geschlechts vorgenommen werden soll« [27], [28].
In krassem Gegensatz hierzu findet sich im ÄrzteG aber keine Bestimmung, die eine gleichgeschlechtliche Untersuchung – weder für Patientinnen noch für Patienten – zwingend vorsieht. Und dies, obwohl idR insbesondere die gynäkologischen und urologischen Untersuchungen tief in die Intimsphäre eindringen. Die Untersuchten umfassen das Palpieren der inneren weiblichen Geschlechtsorgane und der Prostata, das Einführen von Untersuchungsinstrumenten in Harnröhre, Harnblase, Penis, Scheide etc und viele Fragen zur Sexualfunktion, zum sexuellen Erleben und Bedürfnissen. Ja, die Menschen lassen dies zu und willigen hierzu ein; und ja, die Menschen kommen freiwillig zu einem bestimmten Arzt oder einer bestimmten Ärztin, meist nachdem sie sich vorher schon ›umgehört‹ haben und für sie relevante Informationen über die betreffende Ärztin oder Arzt eingeholt haben.
Anzunehmen ist, dass dies – wie auch aus der vom VfGH zitierten Arbeit von Plunkett et al in dem renommierten internationalen wissenschaftlichen Journal American Journal of Obstetrics and Gynecology zu entnehmen ist – in überwiegendem Maße Informationen über die fachliche Qualifikation, klinische Erfahrung, aber auch Umgang und Höflichkeit sein werden [29] (siehe auch Anhang, Seite J). Die Menschen bringen Ärztinnen und Ärzten ob ihres ärztlichen Berufs mit den vielen besonderen berufsrechtlichen und ethischen Auflagen vorab viel Vertrauen entgegen und suchen eben ärztliche Hilfe oder Rat, womit sich dieser scheinbar andere Maßstab Ärztinnen und Ärzten ggü sehr gut erklären ließe.
Ärzte und Ärztinnen genießen bei Menschen beiderlei Geschlechts gleichermaßen und unabhängig ihres eigenen Geschlechts hohes Ansehen und insbesondere Vertrauen, weswegen die untersuchten Personen in die Eingriffe in ihre Privatsphäre und Intimsphäre gemeinhin oft sogar nur konkludent einwilligen. Wie selbstverständlich geben manche Patientinnen und Patienten ihrem ›Gegenüber im weißen Mantel‹ Auskunft über ihr Privat- und Intimleben geben und entblößen sich bereitwillig und lassen sich untersuchen (und dies obwohl manchmal nur eine flüchtige Vorstellung oder sogar keine Vorstellung erfolgte, Anm).
Festzuhalten ist, dass die Einwilligung grds als Rechtfertigung gilt, womit eine Patientin eben einwilligt von einer Ärztin, aber auch von einem Arzt untersucht zu werden, auch wenn sie das jeweils andere Geschlecht bevorzugen würde (Anmerkung: gleiches gilt vice versa für Patienten). Sie könnten aber auch – wie vom Bundesminister in dem Erk V54/2014 der VfGH für Musliminnen postuliert – den gynäkologischen Routineuntersuchungen einfach fernbleiben, wobei hier – wie bereits oben ausgeführt – religiöse Anschauung, Schamgefühl, aber auch Druck des privaten Umfelds mancher muslimischer Patientinnen eine tragende Rolle haben dürften und bis das Gegenteil bewiesen ist, mit der Aufklärung über die Notwendigkeit und Wichtigkeit gynäkologischer (Routine-)Untersuchungen konkurrieren. Selbiges gilt mE aber auch für die vielen anderen Patientinnen und Patienten verschiedenen Alters, Rasse, Ethnien, Religionen und Herkunft. Die körperliche und psychische Integrität soll und darf nicht gefährdet werden, nur weil sich Frauen aus welchen Gründen auch immer nicht von Ärzten untersuchen lassen wollen und über die Risiken nicht informiert bzw gar nicht umfassend aufgeklärt werden können, weil sie weder zur Untersuchung gehen noch sich darüber informieren oder aufklären lassen (können).
Die Diskussion darüber ist heikel, komplex und vielschichtig und wie aus dem im Erk V54/2014 zitierten Meinungsartikel [30] gut ersichtlich, ist die Diskussion scheinbar auch bei Ärztinnen mit Vorurteilen behaftet und mit Ängsten und vermutlich auch schlechten, persönlichen Erfahrungen geprägt. Es prallen verschiedenste Vorstellungen, Erwartungen und religiöse Motive aneinander und polarisieren bzw ›sexualisieren‹ in ungeahnter Weise und führen die Diskussion auch an wesentlichen Punkten vorbei: Einzelkassenverträge für Frauenheilkunde und Geburtshilfe sind wirtschaftlich wertvoll. Sie sichern üblicherweise ein hohes Aufkommen von Patientinnen. Die Frauenheilkunde und Geburtshilfe ist wie viele andere finanziell lukrative medizinische Fächer nach wie vor eine ›Männerdomäne‹ [31]. Und ›Geld in der Medizin‹ ist zumindest genauso hierzulande tabuisiert wie ein ›möglicher Eingriff in die geschlechtliche Integrität der Frau bei der gynäkologischen Untersuchung durch einen Mann‹, worüber die Argumentation des Erk V54/2014 kreist, aber mE nicht anzufassen wagt; im Gegenteil dieses wichtige Thema scheint mit spärlich fundierten Daten und scheinbar auch nicht überprüften Sekundärzitaten einfach nur verzerrt.
Meines Wissens gibt es keine genauen, objektiven Zahlen darüber, wie viele Frauen sich überhaupt lieber von einer Ärztin untersuchen lassen würden und dies va als wichtigste Frage in den Vordergrund rücken oder sogar als unabdingbare Voraussetzung sehen und die fachliche Qualifikation und Expertise in den Hintergrund drängen würden. Und es gibt mW auch keine ernsthaften Analysen darüber, wie viele Medizin-Studentinnen überhaupt eine Ausbildung im Fach Frauenheilkunde und Geburtshilfe anstreben und darin wirklich tätig sein wollen (und die Ausbildung nicht nur – wie in anderen Fächern auch – mangels Alternative ergreifen). Und selbst wenn gute statistische Daten vorhanden wären, müssen diese stets neu erhoben und interpretiert werden, da gesellschaftliche Änderungen auch die Medizin betreffen und die Zahlen verändern oder in anderem Licht erscheinen lassen.
Außerdem müsste Gleiches wie für die gynäkologische Untersuchungen seitens der Politik gefordert und durch die Reihungskriterien-VO konkretisiert, aber denklogisch vice versa für Patienten und für nahezu alle anderen klinischen Untersuchungen an Männern und Frauen gelten, die allesamt zumindest eine Inspektion, ein Abtasten und Abklopfen der Körperoberfläche und ein Abhören von Herz und Lunge aber auch der äußeren Geschlechtsorgane wie weibliche Brüste, Schamlippen und äußeren Scheideneingang, Hoden und Penis und des Afters inklusive digito-rektaler Untersuchung [32] vorsehen.
Die Diskussion darüber ist mE einfach unehrlich, unvollständig und verzerrend, und scheint auch – völlig objektiv und rational, aber kritisch betrachtet – in die Begründung des Erk V54/2014 hineinzuspielen, womit sie an enormer rechtlicher Bedeutung gewinnt.
Was hieße dies für viele andere medizinische Maßnahmen, die Großteils von Krankenschwestern und Krankenpflegern (nicht getrennt geschlechtlich) durchgeführt werden? Wie beispielsweise: das Schreiben von EKG, Wechseln von Windeln (Fachbegriff: IKV für Inkontinenzversorgung), Applizieren von Einläufen oder Legen von Harnkathetern, bei der die tabuisierte 2-Finger-Technik zur Anwendung kommen muss, um die Schamlippen voneinander zu spreizen, um den Katheter in die zwischen der Klitoris und den Scheideneingang gelegene Harnröhre zu schieben. Bei Männern muss der Krankenpfleger oder die Krankenschwester den Penis umfassen, reichlich Gel vorher in die Harnröhre applizieren, um den Katheter an der Spitze der Eichel in die Harnröhre vorschieben zu können usw. Wann soll nun die Geschlechtertrennung – wenn konsequent durchgeführt – für medizinische Behandlungen jeder Art (rechtlich) erfolgen? Mit der Menarche [33], der ersten Pollution [34], der ersten Schambehaarung oder doch erst mit Volljährigkeit? Ab wann soll ein Anspruch bestehen? Und wenn ja, warum soll dieser Anspruch nur für Frauen bestehen, die sich für Routineuntersuchungen an sich schon vorher aussuchen können, ob sie lieber zu einer Ärztin oder einem Arzt gingen? Und warum sollte dieser Anspruch nicht auch in den Spitälern und Ambulanzen für beiderlei Geschlechter und jedes Alter gelten? Sowohl für Routine- als auch für Akutuntersuchungen? Hätten Kinder ebenfalls einen solchen, gleichen Anspruch? Und wenn nicht, warum nicht?
Soziokulturell kann viel in das allgemeine und eigene Rollenverständnis von Mann und Frau hineininterpretiert werden, wird aber nie – und dies behaupte ich – einen allgemein gültigen Beweis für das Individuum in der individuellen Lebenssituation und den verschiedensten sozio-kulturellem Kontext erfüllen können. Sachliche Begründungen oder allgemein gültige Aussagen sind zumeist nur schwer möglich. Auch in diesem VfGH Erk V54/2014 zitierte Aussagen aus dem Meinungsartikel [35] der beiden Autorinnen und Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe scheinen vielfach wertend und sind zumindest subjektiv getönt. Jedenfalls sind sie nicht objektiv und wertneutral, zB: »[…] Manche Frauen haben Schwierigkeiten ihre Genitalien einem fremden Mann zu exponieren. Möglicherweise haben verhältnismäßig weniger Männer Schwierigkeiten, ihre Genitalien fremden Frauen zu zeigen. Dennoch sind weibliche Urologinnen derzeit noch selten […]« oder »[…] Herrscht doch auch in privaten Bereichen eine große Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern. Das Wissen um die Anatomie und Physiologie der Frau beinhaltet nicht automatisch das Wissen um ihre Gefühle, Empfindungen und Wünsche. […]« oder »[…] Sind es nicht die Aussagen „potenter“ Männer, die das weibliche Sexualverhalten nachhaltig beeinflussen? Denken wir an Siegmund Freud, der vom reifen, vaginalen Orgasmus gesprochen hat, ein Mythos, der sich hartnäckig in den österreichischen Betten hält und viele Frauen als unreif erscheinen lässt. Aber auch in der heutigen Zeit führen Aussagen renommierter Gynäkologen, wie „die ältere Frau verliert die Lust an der Liebe, wenn von der Penetration beim Geschlechtsverkehr die Rede ist“, zu Diskriminierung und Herabsetzung weiblicher Empfindungen beim Sexualakt. […]«
Viel wichtiger ist aber, dass die von den beiden Autorinnen zitierten Primärquellen, dh alle 4 zitierten wissenschaftlichen Arbeiten unrichtig wiedergegeben und die Diskussion – wenn überhaupt – nur im Anschein objektiv ist (siehe Anhang, Seite G-J).
Ein Fehlzitat sei hier herausgegriffen, da es im gegenständlichen Fall die Begründung des Klägers eigentlich wissenschaftlich untermauert hätte müssen. Aber sowohl im Meinungsartikel als auch im Erk V54/2014 wurde die Arbeit [36] unrichtig dargestellt und unverständlicherweise argumentativ völlig widersinnig sogar gg den Kläger verwendet.
Konkret, selbst die ›objektiven‹ statistischen Zahlen über die mehr als 53.8 Prozent der 125 befragten Frauen, die angaben, Frauenärztinnen und Geburtshelferinnen zu bevorzugen, werden nur ein paar Zeilen weiter in der Konklusion des 207 Wörter kurzen Abstraktes bereits wieder relativiert: ›For most women, physician gender is not of primary importance in the selection of an obstetrician or gynecologist.‹ [37]. Vielmehr gaben die Befragten in dieser wissenschaftlichen Studie aber an, (1) klinische Erfahrung (88 Prozent), (2) Höflichkeit und Benehmen am Krankenbett (89.6 Prozent) und (3) Kompetenz (99.2 Prozent) über ein ›bevorzugtes Geschlecht‹ zu stellen. Leider erwähnten – wie gesagt – weder die beiden Autorinnen des Meinungsartikels [38] noch die 8 Richter und 5 Richterinnen des VfGH im Erk V54/2014 diese wesentliche Information aus der Primärliteratur nicht. Und genau dieser Aussage, die auch der Kläger vorbrachte, könnten wir der allgemeinen Erfahrung nach am meisten Glauben schenken, da ein jeder Mensch für seine Gesundheit nur die beste Behandlung durch die beste fachliche Expertise möchte. Vielleicht würde manchmal wirklich ein bestimmtes Geschlecht bevorzugt, wobei dies von Mensch zu Mensch und Situation und Situation unterschiedlich und neu zu bewerten sein wird und mE nur schwer allgemeine Regeln aufzustellen sein werden.
Wie auch der VfGH in seinem Erk V54/2014-20 zitiert, reichten 2013 25 Prozent aller anspruchsberechtigten Patientinnen (23511 von 69123 Kassen-Patientinnen) ihre bezahlten Honorare bei ihren Krankenversicherungsträgern zur Rückvergütung gem § 135 ASVG ein. Von den eingereichten Honoraren waren 62.5 Prozent von Vertragsfachärztinnen ausgestellt worden. Dies bedeutet aber ohne detaillierte Aufschlüsselung nicht, dass wirklich alle Frauen, eine überwiegende Mehrheit oder zumindest eine beträchtliche Minderheit Wahlärztinnen bevorzuge. Die isolierte Zahl sagt nichts über die tatsächlichen Motive der Patientinnen, Wahlärztinnen oder Wahlärzte zu besuchen, aus: es fehlen zB Angaben zur tatsächlichen Untersuchungsfrequenz bei den einzelnen Wahlärztinnen und Wahlärzten. Es wurden im Erk VfGH V54/2014 nur die eingereichten Honorarnoten miteinander verglichen.
Plausibel wäre beispielsweise auch, dass (1) Wahlärztinnen ihre Patientinnen vielleicht häufiger wiederbestellen als ihre Kollegen, dass (2) ihre Einzelhonorare einerseits höher sind (wenn die Anzahl der ausgestellten und eingereichten Honorare pro Arzt und Ärztin gleich wäre), dass (3) die Einzelhonorare individuell, aber auch im Gruppenvergleich niedriger oder höher sein können.
Ferner ist überhaupt nicht bekannt, wie viele Patientinnen überhaupt eine Honorarnote eingereicht haben, da die Rückvergütung der gesetzlichen Krankenkassen oft nur einen kleinen Bruchteil des bezahlten privaten Honorars ausmachen. Klar ist aus den angeführten Gründen, dass die 62.5 Prozent nur eine sehr beschränkte Aussagekraft haben.
Die Begründung des Bundesministers für Gesundheit in dem VfGH Erk V54/2014-20, dass Frauen aufgrund des großen Ungleichgewichts bei den Planstellen gezwungen sein würden, Wahlärztinnen aufzusuchen, ist durch die Zahlen an sich derzeit genauso wenig belegbar, wie dass alle Frauen lieber Fachärztinnen als Fachärzte aufsuchen. Auch wenn die Annahme berechtig und schlüssig scheint, ist sie durch diese Zahlen aber noch nicht wissenschaftlich bewiesen und demnach ein ›objektiver Grund‹. Es gibt nämlich sicher nicht unbeträchtlich wenige Frauen, die wahrscheinlich auch wegen homosexueller Assoziationen oder anderen Gründen kategorisch ablehnen, von einer anderen Frau in ihren Intimbereich untersucht zu werden. Außerdem ist die Behauptung der beiden Autorinnen des Meinungsartikels [39], dass Fachärztinnen erst recht einfühlsamer und verständnisvoller ggü Frauen seien als Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, eben nur eine Behauptung, die durch nichts belegt wurde bzw mE auch nicht belegbar sein wird. Es gibt mW auch gegenteilige Meinung von Frauen, die genau das Gegenteil sagen, dass Frauenärztinnen ggü Frauen ›kalt‹, weniger einfühlsam und weniger verständnisvoll als Männer seien und vielleicht auch Frauen als Ärztinnen weniger kompetent sehen [40].
Viele Einflüsse (wissenschaftlich statistisch: Störvariablen, engl.: confounder) wären denkbar bzw sind dermaßen offensichtlich, dass sie zuerst untersucht werden müssen, bevor darüber rein spekulative Aussagen wie in diesem nicht gut recherchierten Meinungsartikel der ÖKZ (und dadurch auch im Erk) getroffen werden: zB warnen auch Bertakis et al explizit vor Störfaktoren und voreiligen Rückschlüssen: »[…] This study underscores the importance of careful measurement and control of potential confounding factors in clarifying the impact of physician gender on practice style. […]«. Diese Erkenntnis von Bertakis et al findet sich trotz Zitat ihrer Studie weder im zitierenden Meinungsartikel noch im VfGH Erk V54/2014, dafür werden statistische Zahlen inkomplett und dadurch unrichtig wiedergegeben.
Ferner ist die absolute Zahl der Patientinnen und die absolute Zahl der regelmäßigen und bis zu zweimal jährlichen Routineuntersuchungen an sich um einiges höher als in vielen anderen Fächern der Medizin. Unklar ist, ob Patientinnen, auch wenn das Angebot an Vertragskassenärztinnen ausreichend wäre, bei diesen ihre Routineuntersuchungen tatsächlich lieber wahrnehmen würden.
Die Thematik ist komplex und könnte aber mit einer (auch mehrsprachigen) Mitgliederbefragung der gesetzlichen Krankenkassen sehr einfach gelöst werden, wobei hier größte Sorgfalt und Augenmerk auf die Auswahl und Formulierung der gestellten Fragen zu legen wäre und die Kriterien für die Auswertung der Fragebögen vorab wissenschaftlich festgelegt, von den Verantwortlichen abgestimmt und breit kundgetan und informiert werden sollte.
Nachdem Patienten im Gegensatz zu Patientinnen sehr wohl und unkompliziert idR aus vielen Kassenvertragsfachärzten wählen können, erfüllen die gesetzlichen Krankenversicherungen für ihre männlichen Krankenversicherten einen etwaig postulierten Anspruch bereits jetzt schon, und stehen mE nicht zur weiteren Diskussion.
5 Von Scheinargumenten, Scheinbegründungen und Präjudiz.
Höchstgerichtliche Entscheidungen, Sprüche bzw Erk haben präjudiziellen Charakter – vor allem für die untergeordneten Instanzen bzw aber auch für die weiteren Entscheidungen der Höchstgerichte selbst. Die ständige Rsp entwickelt sich fort und verlässt iS der Rechtsicherheit die Begründung bzw Argumentation bereits früher entschiedener Rechtsstreitigkeiten grds nicht (so leicht). Die einheitliche Rechtsanwendung ist wesentlich für die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der Rsp bei den Rechtsunterworfenen und sohin für den Rechtsfrieden.
In anderen Worten heißt dies, dass die einzelnen Urteile, Beschlüsse oder Erk der Höchstgerichte für ähnliche künftige Rechtsstreitigkeiten sehr wohl (wert-) maßstabsbildend und richtungsweisend sind, auch wenn sie ihnen grds eine rechtliche Verbindlichkeit fehlt. Die Erk sollen durch ihre ›präjudizielle normative‹ Wirkung die Rsp gleichschalten, dh die ständige Anwendung des Rechts – die ständige Rsp – vereinheitlichen, um die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Rechts bei ihren Rechtsunterworfenen zu gewährleisten. Zudem genießt der VfGH eine Sonderstellung. Der Verfassungsgerichtshof wird gem § 8 VfGG [41] als ›Behüter der österreichischen Verfassung‹ und als ›moralische Autorität‹ angesehen.
Nichtsdestotrotz bleiben Erk des VfGH Gesamtbeurteilungen von wenigen unabhängigen Richterinnen und Richter des VfGH, die gem Art 147 Abs 2 BV-G von der Bundesregierung, Nationalrat und Bundesrat vorgeschlagen werden: Erk sind ›Urteile von Menschen für Menschen‹; dh Erk dürfen nicht mit der Kelsen’schen Grundnorm gleichgesetzt werden, die einfach ausgedrückt, das idealisierte Maß einer absolut gerechten, obersten Norm darstellt, die außerhalb der Erkenntnis des Menschen liegt, aber ein Ideal ist, das es zumindest anzustreben gilt [42].
Recht wird von bestimmten auserkorenen (in einer Demokratie grds gewählten) Menschen mit ›gewisser Autorität‹ gemacht, wonach bestimmte andere Menschen ebenfalls mit ›gewisser Autorität‹ Recht sprechen. Recht soll, muss aber nichts mit Gerechtigkeit und Wahrheit gemein haben. Gerechtigkeit und Wahrheit sollen unabänderlich sein, während sich das von Menschen gemachte Recht ändert: einerseits durch Gesetze, die zB vom Parlament mit seinen 183 gewählten Abgeordneten beschlossen werden und andererseits durch die Judikate, insbesondere die Rsp der Höchstgerichte. Die einzelnen Judikate sind nicht ›absolut‹, dh der Weisheit letzter Schluss, sonst würde sich die ständige Rsp begrifflich ja auch nicht fortentwickeln.
Für die einzelnen Rechtsunterworfenen ist aber bereits die höchstgerichtliche Judikatur zumeist unabänderlich. Sehr oft scheint es eine ›gewisse Schützenhilfe‹ von Außen zu benötigen, dh unionsrechtliche Judikatur oder Gesetzesänderungen, um eine Neubeurteilung eines bestimmten Sachverhaltes zu ermöglichen. Ein konkretes Beispiel hierfür: ursprünglich hieß es nach OGH Rsp, dass »die Vertretung eines nicht mehr bestehenden Rechtssubjektes schon begrifflich ausgeschlossen ist, dh dass Vertretungsrecht eines Bewohnervertreters mit dem Tod erlöschen muss« [43] und perpetuierte sich für andere Personenkreise wie Patientenanwälte und Hinterbliebene über mehr als ein Jahrzehnt fort. Die Aufklärung der Umstände, die während einer Beschränkung zum Tode eines Patienten bzw Patientin geführt haben, scheiterte eben an dieser höchstgerichtlichen Rsp. Der OGH versagte die Beschwerdelegitimation, bis dies im Laufe der Jahre va auf Basis des § 2 EMRK und ständiger Rsp des EGMR [44], [45] – aus heutiger Sicht verständlicherweise – relativiert und faktisch aufgehoben wurde. Selbstverständlich besteht ein legitimes Interesse, den Tod eines beschränkten Patienten bzw Patientin iS eines allgemeinen und individuellen Rechtsschutzinteresses zu klären. Die Aufklärung des Todes bzw Verletzungen iS des Art 2 EMRK dürfen nicht formal an einer nicht zugesprochenen Nicht-Beschwerdelegitimation bzw Nicht-Parteistellung in einem Verfahren scheitern. Der Staat selbst sollte ein berechtigtes Interesse an Aufklärung solcher Fälle haben und nicht in Verdacht geraten, solche Fälle nicht aufklären zu wollen oder formale Hürden aufzubauen, um die Hinterbliebenen an der Geltendmachung der behaupteten Verletzung gem Art 2 EMRK zu hindern.
Solche Fälle zeigen, dass es den einzelnen Rechtsunterworfenen in den meisten Fällen schier unmöglich ist, gesprochenem höchstgerichtlichem Recht entgegenzuwirken, wie beispielsweise auch hier bei dem VfGH Erk V54/2014, obwohl es mE nach ›objektiven Maßstäben‹ tatsächlich gerechtfertigt wäre (siehe Anhang, Seite G).
Konkret in diesem Fall, wäre jedes innerstaatliche Rechtsmittel ausgeschöpft, obwohl mit Leichtigkeit nachgeprüft werden könnte, dass die als ›objektiv‹ angegebenen und argumentierten ›objektiven Gründe‹ gar nicht objektiv sind, sondern publizierte wissenschaftliche Daten zT unvollständig und dadurch unrichtig wiedergeben wurden (siehe oben und Anhang, Seite G). Daran würde auch eine noch so lange und sprachlich wohl ausgefeilte Gegenargumentation des VfGH nichts mehr ändern, sondern im Gegenteil den Eindruck erwecken, dass die höchste ›moralische Instanz‹ und ›Hüter der österreichischen Verfassung‹ unbeirrbar an seinen Sprüchen festhält, auch wenn diese an einer offensichtlich unrichtigen und nicht – wie eben postuliert – ›objektiven – Begründung‹ aufgehängt sind. Niemand würde von VfGH Richterinnen und Richtern Unfehlbarkeit, aber sehr wohl die menschliche Größe erwarten, auch im Nachhinein die eigene Begründung und das Ergebnis des Erk einer sachlichen Analyse zu unterwerfen und ggf zu ändern und ›Recht zu sprechen‹ [46].
Es darf mE der Eindruck nicht erweckt werden, dass der VfGH versucht hat, diese wichtige gleichstellungspolitische Frage eben nicht als solche gleichstellungspolitische Frage zu betrachten und zu würdigen, sondern versucht hat, das Erk auf rationale, wissenschaftliche, dh ›objektive Gründe‹ zurückzuführen und zu begründen. Dies wäre grds legitim und auch, wenn machbar, mE sicherlich zu bevorzugen. Nur ist es leider mit den zitierten Arbeiten sachlich eigentlich nicht möglich.
Dabei wären ›objektive Gründe‹ gar nicht notwendig, da doch einige wenige Grunddaten ganz alleine für sich sprechen und ein gleichstellungspolitisches Vorgehen mehr als rechtfertigen würden: Es ist beispielsweise unbestritten, dass die Kassenplanstellen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe überwiegend mit Vertragsfachärzten besetzt sind, dass pflichtversicherten Patientinnen je nach Sprengel sogar keine Wahlmöglichkeit, zwischen Ärztin und Arzt zu wählen, ›offen‹ steht bzw Anfahrtswege zT (unzumutbar) lang sind. Bis vor kurzem waren in vielen Bundesländern nur einzelne Kassenplanstellen mit Fachärztinnen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe besetzt bzw in Kärnten sogar keine einzige.
Solche Zahlen würden beispielsweise (1) eine Quotenregelung, die um vieles strenger wäre als die derzeitige Reihungskriterien-VO ist, mit Leichtigkeit empfehlen lassen und eine Diskussion über die aus vielerlei Gründen (siehe oben, Kapitel 2 und 3) unbestrittenen Reihungskriterien-VO vermindern helfen.
Andererseits würden solche Zahlen (2) von den gesetzlichen § 2-Kassen eine Urabstimmung/Mitgliederbefragung ihrer weiblichen Pflichtversicherten einfordern, um in einer repräsentativen, österreichischen Studienkohorte ihrer weiblichen Pflichtversicherten diese Frage und Bedürfnisse zu ›objektivieren‹ und nicht auf geringe Fallzahlen aus angloamerikanischen Studien mit zT anderen Studienzielsetzungen, anderen Gesundheitssystemen und anderem soziokulturellen Hintergrund zurückgreifen zu müssen. Der wissenschaftliche Vergleich angloamerikanischer Studien mit dem österreichischen Sachverhalt gestaltet sich – wenn überhaupt möglich – ohnehin nur sehr schwierig. Außerdem wäre es nicht notwendig, unionsrechtliches Sekundärrecht für andere Berufe wie die Hebammen in Großbritannien zum Vergleich heranzuziehen [47]. Das österreichische und das britische Gesundheitssystem als auch die Ausbildung und der Verantwortungs- und Tätigkeitsbereich von Hebammen und Fachärztinnen und –ärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe unterscheiden sich maßgeblich, auch wenn dies für manche grundrechtliche Fragen vielleicht nicht von Betracht scheint, kann es sehr wohl für die inhaltliche Gesamtbeurteilung eines Sachverhalts relevant sein.
Wie auch immer, auch dieses VfGH Erk V54/2014 hat bereits in dem vorliegenden Fall und wird in einer Vielzahl weiterer ähnlicher Fälle, in denen dieses Erk V54/2014 (passagenweise) zur argumentativen Untermauerung zitiert werden wird, seine Wirkung entfalten. Die Frage ist, ob dies an sich ›richtig‹ ist oder ob dies an sich ›gerecht‹ ist, was ein richterliches Urteil an sich ›tatsächlich wert‹ ist, wenn es auf unrichtiger Interpretation und Beweiswürdigung beruht?
Stellen Sie sich vor, – verzeihen Sie die Polemik – Sie würden zu lebenslanger Haft verurteilt, weil jeder einzelne Beweis gegen Sie ausgelegt und verwendet wird, Sie aber, wenn die Beweise nur richtig, dh objektiv, betrachtet würden, freigesprochen werden müssten! Ist es dann rechtsstaatlich in Ordnung, dass man keinen Einspruch mehr erheben bzw die Wiederaufnahme des Verfahrens verlangen darf, nur weil formal keine Mittel zulässig sind? Oder wird die Rechtssicherheit an einer ›vermeintlichen Unfehlbarkeit‹ von höchstgerichtlichen Autorität und nicht an der höchstgerichtlichen Autorität selbst angeknüpft?
Rechtsquellenverzeichnis
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- Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) BGBl Nr 1/1930 idF BGBl I Nr 194/1999 idf BGbl I Nr 102/2014
- Luftfahrtsicherheitsgesetz 2011 BGBl I Nr 111/2010 idF BGBl I Nr 50/2012.
- Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) RGBl Nr 217/1896 idF BGBl I Nr 34/2015.
- Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) BGBl Nr 85/1953 idF BGBl I Nr 23/2015.
- Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-Verordnung), BGBl. II Nr. 487/2002 idF BGBl. II Nr. 239/2009.
- Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg (ÄKS) und der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) für die Auswahl der VertragsärztInnen für Allgemeinmedizin und VertragsfachärztInnen sowie für Vertragsgruppenpraxen und GesellschafterInnen von Vertragsgruppenpraxen, endg, vom 01.10.2013.
- Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) BGBl Nr 85/1953 idF BGBl I Nr 23/2015.
- VO (EU) 1147/2011 der Kommission vom 11.11.2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 zur Durchführung der gemeinsamen Grundstandards in der Luftsicherheit bezüglich des Einsatzes von Sicherheitsscannern an EU-Flughäfen, ABl L 2011/294, 7.
Literaturverzeichnis
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Judikaturverzeichnis
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- EuGH 08.11.1983, 165/82, Kommission/Vereinigtes Königreich.
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- VfGH 24.06.1985, V7/84.
- VfGH 09.12.2014, V54/2014.
Abkürzungsverzeichnis
ÄK Ärztekammer; Anm Anmerkung; ÄrzteG Ärztegesetz; ASVG Allgemeines Sozialversicherungsgesetz; BVA Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter; B-VG Bundesverfassungsgesetz; bzw beziehungsweise; dh das heißt; EMRK Europäische Menschenrechtskonvention; EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte; Erk Erkenntnis; ggü gegenüber; grds grundsätzlich; GlBG Gleichbehandlungsgesetz; idR in der Regel; idS in diesem Sinne; ieS im engeren Sinn; iF in Folge; iS im Sinne; iW im Wesentlichen; iwF in weiterer Folge; LÄK Landesärztekammer; LG Landesgericht; mE meines Erachtens; mW meines Wissens; OECD Organisation for Economic Co-operation and Development; ÖKZ Österreichische Krankenhauszeitung; Reihungskriterien-VO Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-Verordnung), BGBl. II Nr. 487/2002 idF BGBl. II Nr. 239/2009. Richtlinien der LÄK Salzburg Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg (ÄKS) und der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) für die Auswahl der VertragsärztInnen für Allgemeinmedizin und VertragsfachärztInnen sowie für Vertragsgruppenpraxen und GesellschafterInnen von Vertragsgruppenpraxen, endg, vom 01.10.2013. Rsp Rechtsprechung; ua unter anderem; uU unter Umständen; VfGH Verfassungsgerichtshof; VfGG Verfassungsgerichtshof-Gesetz; VO Verordnung; zB zum Beispiel; zT zum Teil.
Anhang
Die Abstrakte sind in der weltweiten, frei zugänglichen wissenschaftlich-medizinischen Datenbank MEDLINE bzw. PUBMED unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov frei zugänglich.
I.
Bertakis/Helms/Callahan/Azari/Robbins, The influence of gender on physician practice style. Med Care (1995) 407.
Abstract
As more women enter medicine, intriguing questions arise about how physician gender impacts practice style. To measure this influence in primary care encounters, 118 male and 132 female adult new patients, having no stated preference for a specific physician, were randomly assigned to university hospital primary care residents, and their initial encounters were videotaped. Forty-eight male and 33 female physicians participated. Patient health status was assessed before the visit with the Medical Outcomes Study Short-Form General Health Survey. Physician practice style was evaluated by using the Davis Observation Code to analyze videotapes of each initial visit. Patient satisfaction with medical care was assessed with satisfaction questionnaires. Contrary to prior reports, the difference between male and female physicians in total time spent with patients was small and statistically insignificant, and diminished further when controlling for patient gender and health status. Female physicians, however, were observed to engage in more preventive services and to communicate differently with their patients. These differences in practice style appear to explain partially the observed higher patient satisfaction scores for female physicians. This study underscores the importance of careful measurement and control of potential confounding factors in clarifying the impact of physician gender on practice style.
II.
Howell/Gardiner/Concato, Do women prefer female obstetricians? Obstetrics and Gynecology (2002) 1031.
Abstract
OBJECTIVE: To investigate gender preferences for obstetricians in a hospital setting and to examine its relationship to patient satisfaction.
METHODS: Using methods of qualitative analysis, we interviewed a convenience sample of 67 obstetric patients during their postpartum hospital stay, asking open-ended questions about gender preferences of health care providers and satisfaction with health care.
RESULTS: Overall, 58% of patients (n = 39) had no preference for physician gender, 34% (n = 23) preferred female physicians, and 7% (n = 5) preferred male physicians. Physicians‘ interpersonal style, communication style, and technical expertise were considered important characteristics by patients. Although most patients had no preference for physician gender, the majority of patients preferred a female nurse. Patient satisfaction scores were not associated with physician gender.
CONCLUSION: Our study found that a majority of women did not prefer a female obstetrician. Our results suggest that physician gender is less important to patients than other physician characteristics.
III.
Lurie/Slater/McGovern/Ekstrum/Quam/Margolis, Preventive care for women. Does the sex of the physician matter? New England Journal of Medicine (1993) 478.
Abstract
BACKGROUND: Emphasis on ensuring women’s access to preventive health services has increased over the past decade. Relatively little attention has been paid to whether the sex of the physician affects the rates of cancer screening among women. We examined differences between male and female physicians in the frequency of screening mammograms and Pap smears among women patients enrolled in a large Midwestern health plan.
METHODS: We identified claims for mammography and Pap tests submitted by primary care physicians for 97,962 women, 18 to 75 years of age, who were enrolled in the health plan in 1990. The sex of the physician was manually coded, and the physician’s age was obtained from the state licensing board. After identifying a principal physician for each woman, we calculated the frequency of mammography and Pap smears for each physician, using the number of women in his or her practice during 1990 as the denominator. Using unconditional logistic regression, we also calculated the odds ratio of having a Pap smear or mammogram for women patients with female physicians as compared with those with male physicians, controlling for the physician’s and the patient’s age.
RESULTS: Crude rates for Pap smears and mammography were higher for the patients of female than male physicians in most age groups of physicians. The largest differences between female and male physicians were in the rates of Pap smears among the youngest physicians. For the subgroup of women enrolled in the health plan for a year who saw only one physician, after adjustment for the patient’s age and the physician’s age and specialty, the odds ratio for having a Pap smear was 1.99 (95 percent confidence interval, 1.72 to 2.30) for the patients of female physicians as compared with those of male physicians. For women 40 years old and older, the odds ratio for having a mammogram was 1.41 (95 percent confidence interval, 1.22 to 1.63). For both Pap smears and mammography, the differences between female and male physicians in screening rates were much more pronounced in internal medicine and family practice than in obstetrics and gynecology.
CONCLUSIONS: Women are more likely to undergo screening with Pap smears and mammograms if they see female rather than male physicians, particularly if the physician is an internist or family practitioner.
Anmerkung:
eine solche Schlussfolgerung ist aber sehr einseitig, wie in den zahlreichen Kommentaren zu dieser Arbeit ausgeführt wird: es ist nämlich sehr wohl plausibel, dass die klinische Sicherheit der Ärztinnen und Ärzte sehr wohl direkt mit der Anzahl weiterführender Untersuchungen (wie Gebärmutterhals-Abstrichen und Mammografien) korreliert [1]. Außerdem ist es klar, dass in einem angloamerikanischen Gesundheitssystem, das nicht wie das österreichische Gesundheitssystem auf dem Solidaritätsprinzip und Pflichtversicherungsprinzip beruht, umso mehr auch die Kosten, eine Untersuchung zu machen oder nicht, in die wissenschaftliche Analyse miteinfließen müssen.
Ferner sind gynäkologische Untersuchungen in Österreich mehr oder weniger Fachärztinnen und Fachärzten für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vorbehalten. In den USA wird die gynäkologische Untersuchung sehr wohl oft von Allgemeinmedizinern und Allgemeinmedizinerinnen und Fachärzten und –ärztinnen für Innere Medizin durchgeführt [2],[3].
Ferner zeigen Lurie et al in einem author’s reply selbst die Limitationen ihrer Studie auf [4].
IV.
Plunkett/Kohli/Milad, The importance of physician gender in the selection of an obstetrician or a gynecologist, Am J Obstet Gynecol (2002) 926.
Abstract
OBJECTIVE: The purpose of this study was to determine the importance of gender in the selection of an obstetrician or a gynecologist.
STUDY DESIGN: At a university-based hospital, 46 patients after delivery and 79 patients after gynecologic surgery who had selected their physician within the previous year were interviewed to determine the importance of physician gender in the selection of an obstetrician or gynecologist. Chi-square test, Fisher exact test, and the Student t test were used for statistical analysis.
RESULTS: Of the 125 women who were surveyed, 52.8% of the women preferred a female physician, 9.6% of the women preferred a male physician, and 37.6% of the women stated no gender preference, with no significant difference between the obstetric and gynecologic groups. The groups were similar with respect to ranking the importance of gender; 24.8% of the women who were interviewed considered gender to be one of the 3 most important factors in the selection of a physician. When participants were asked to choose gender over physician experience, bedside manner, or competency, gender was selected by 12%, 10.4%, and 0.8%, respectively, with no significant differences between the groups.
CONCLUSION: For most women, physician gender is not of primary importance in the selection of an obstetrician or gynecologist.
[1] Merrithew, Comment on: Preventive care for women. Does the sex of the physician matter? New England Journal of Medicine (1994) 215.
[2] Gimpelson, Comment on: Preventive care for women. Does the sex of the physician matter? N Engl J Med (1994) 216.
[3] Lurie/Slater/McGovern/Ekstrum/Quam/Margolis, New England Journal of Medicine (1993) 478.
[4] Lurie/Margolis/Slater, Comment on: Preventive care for women. Does the sex of the physician matter? New England Journal of Medicine (1994) 216.
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Literatur (für Homepage-Veröffentlichung)
Die Literatur wurde hier nochmals für die Veröffentlichung in diesem Beitrag geordnet. Die Rechtsquellen, juristischen und medizinischen Arbeiten und Kommentare wurden nach der Reihenfolge ihres Auftretens im Text hier nochmals angeführt.
1 VfGH 09.12.2014, V54/2014.
2 Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-Verordnung), BGBl II Nr 487/2002 idF BGBl II Nr 239/2009.
3 Schuchter/Krumpl-Ströher, Geschlechtsspezifische Medizin. Männer in der Gynäkologie, Frauen in der Urologie, ÖKZ (2002) 39.
4 Bertakis/Helms/Callahan/Azari/Robbins, The influence of gender on physician practice style. Med Care (1995) 407.
5 Howell/Gardiner/Concato, Do women prefer female obstetricians? Obstetrics and Gynecology (2002) 1031.
6 Lurie/Slater/McGovern/Ekstrum/Quam/Margolis, Preventive care for women: Does the sex of the physician matter? New England Journal of Medicine (1993) 478.
7 Plunkett/Kohli/Milad, The importance of physician gender in the selection of an obstetrician or a gynecologist, Am J Obstet Gynecol (2002) 926.
8 Howell/Gardiner/Concato, Obstetrics and Gynecology (2002) 1031.
9 Bertakis/Helms/Callahan/Azari /Robbins, Med Care (1995) 407.
10 Schuchter/Krumpl-Ströher, ÖKZ (2002) 39.
11 Bergmeister/Blöchl-Daum/Druml/Ellmeier/Freissmuth/Grimm/Herold/Leitner/Müller/Pleiner-Duxneuner/Singer/Stockinger/Wolzt, Good Clinical Practice: Ethik in Wissenschaft und Forschung. Richtlinien der Medizinischen Universität Wien (2013) 28.
12 Kelsen, Die Interpretation als Erkenntnis- oder Willensakt, in Jaestaedt (Hrsg), Reine Rechtslehre: Studienausgabe der 1. Auflage 1934 (2008) 107.
13 Howell/Gardiner/Concato, Obstetrics and Gynecology (2002) 1031.
14 Howell/Gardiner/Concato, Obstetrics and Gynecology (2002) 1031.
15 Abgesehen von der forensisch-gynäkologischen Untersuchung von Vergewaltigungsopfern, wobei dies keine ›Routine-Untersuchung‹ ieS ist, sondern eine Ausnahmesituation darstellt.
16 Persönliche Erfahrung des Autors und berichtete persönliche Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzten, aber auchmuslimischen Patientinnen.
17 Auch eine extensive Medline Recherche http://www.ncbi.nlm.nih.gov blieb zuletzt erfolglos, zuletzt 14.06.2015 abgefragt.
18 Tosun, Kulturelle und religiöse Aspekte in der Patientenbetreuung, Journal für Urologie und Urogynäkologie (2013) 19.
19 Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen über die Kriterien für die Reihung der ärztlichen und zahnärztlichen BewerberInnen um Einzelverträge mit den Krankenversicherungsträgern (Reihungskriterien-Verordnung), BGBl II Nr 487/2002 idF BGBl II Nr 239/2009.
20 Richtlinien der Ärztekammer für Salzburg (ÄKS) und der Salzburger Gebietskrankenkasse (SGKK) für die Auswahl der VertragsärztInnen für Allgemeinmedizin und VertragsfachärztInnen sowie für Vertragsgruppenpraxen und GesellschafterInnen von Vertragsgruppenpraxen, endg, vom 01.10.2013.
21 VfGH 24.06.1985, V7/84.
22 Das Protokoll der mündlichen Verhandlung beim VfGH konnte der Autor ebenfalls nicht einsehen.
23 Es wird zT eine erhebliche Punkteanzahl für die Kategorie ›fachliche Qualifikation‹ aus diversen Zusatzkursen vergeben, denen viele Ärztinnen und Ärzte auch die im ÄrzteG vorgeschriebene wissenschaftliche Grundlage ärztlichen Handelns absprechen (zB Diplom für Neuraltherapie, für Akupunktur, für manuelle Medizin usw) bzw die Wertigkeit nicht sehen (Diplom für Kurortemedizin usw).
24 VfGH 09.12.2014, V54/2014.
25 Statistik Austria, Jahrbuch der Gesundheitsstatistik 2013 (2014).
26 Literatur beim Verfasser.
27 VO (EU) 1147/2011 der Kommission vom 11.11.2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 zur Durchführung der gemeinsamen Grundstandards in der Luftsicherheit bezüglich des Einsatzes von Sicherheitsscannern an EU-Flughäfen, ABl L 2011/294, 7.
28 Mitteilung der Kommission an das europäische Parlament und den Rat über den Einsatz von Sicherheitsscannern auf EU-Flughäfen, KOM(2010) 311 endg, vom 15.06.2010, 65.
29 Plunkett/Kohli/Milad, The importance of physician gender in the selection of an obstetrician or a gynecologist, Am J Obstet Gynecol (2002) 926.
30 Schuchter/Krumpl-Ströher, ÖKZ (2002) 39.
31 Dh aber nicht, dass der Verfasser dieses Beitrags Geld als wesentliche Triebfeder, Gynäkologe (oder Gynäkologin) zu werden, sieht. Für viele Ärztinnen und Ärzte sind aber neben dem grundsätzlichen Interesse für eine Fachdisziplin auch die Verdienstmöglichkeiten für die Auswahl eines bestimmten Fachs entscheidend.
32 Digito-rektale Untersuchung: ist eine sehr wichtige Vorsorgeuntersuchung, bei der idR ein behandschuhter Finger mit Vaseline bestrichen in den After der Patientin oder des Patienten eingeführt wird und insgesamt um 360 Grad gedreht wird, um den Enddarm über dem Schließmuskel abzutasten. Diese Stelle ist eine Prädilektionsstelle für das sehr häufige Rektumkarzinom. Diese einfache klinische Untersuchung erlaubt eine sehr frühe Erkennung bzw lebensrettende Behandlung und greift selbstverständlich in die Privat- und Intimsphäre von Menschen ein. Bei Männern kann zusätzlich nach vorne hin ein Tastbefund der Prostata erstellt werden. Bei der urologischen Untersuchung gilt jedoch die ebenfalls teilweise von vielen Patienten als ›erniedrigend‹ empfundene Knie-Ellenbogen-Lage als Goldstandard.
33 Erste Monatsblutung.
34 Nächtlicher unwillkürlicher Samenerguss in der Pubertät, wobei die ersten Samenergüsse die Reife des Hodens anzeigen.
35 Schuchter/Krumpl-Ströher, ÖKZ (2002) 39.
36 Plunkett/Kohli/Milad, Am J Obstet Gynecol (2002) 926.
37 Plunkett/Kohli/Milad, Am J Obstet Gynecol (2002) 926.
38 Schuchter/Krumpl-Ströher, ÖKZ (2002) 39.
39 Schuchter/Krumpl-Ströher, ÖKZ (2002) 39.
40 Dies ist ebenso ein gängiges Vorurteil, dass den Autorinnen des ÖKZ Meinungsartikels als Ärztinnen sicher bekannt ist. Dieses Vorurteil ist – wie für Vorurteile paradigmatisch – durch nichts haltbar bzw objektivierbar.
41 Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 (VfGG) BGBl Nr 85/1953 idF BGBl I Nr 23/2015.
42 Kelsen, (2008) 74.
43 OGH 31.01.1995, 5 Ob 503/95.
44 EGMR 27.09.1995, 17/1994/464/545, McCann/Vereinigtes Königreich.
45 EGMR 09.10.1997, 86/1996/705/897, Andronicou und Constantinou/Zypern.
46 Auch wenn dies ex lege nicht vorgesehen ist. Dies bedeutet mE ja nicht, dass dies grds nicht möglich wäre.
47 EuGH 08.11.1983, 165/82, Kommission/Vereinigtes Königreich.


fahmy.blog
20/12/2023 @ 13:17
Nachtrag – eine Ironie des Schicksals: Gestern, am 18.12.2023 (und sohin 2 Tage nach Veröffentlichung dieses Blog-Beitrages) hatte der VfGH ein Erkenntnis über die Sicherstellung von Handys veröffentlicht.
Der zeitliche Kontext zu einem derzeit laufendem „sogenannten glamorösen Verfahren“ im Wiener Straflandesgericht (mit dem Bundeskanzler Sebastian Kurz ehemalien und ehemaligen ÖBAG-Chef Thomas Schmid) mutet doch zumindest ein wenig eigenartig an (siehe auch ZIB2 Interview von Strafrechtsexpertin Frau Univ. Prof. Ingeborg Zerbes und Armin Wolf, vom 19.12.2023)(?).
Ich möchte aber klarstellen, dass ich sehr wohl eine richterliche Genehmigung für die Sicherstellung und für die Auswertung rechtsstaatlich als sinnvoll erachte.
Ich bin gespannt, wie der Gesetzgeber das neue Gesetz ausgestalten wird, insbesondere
1. Ob am Ende des Tages diejenigen, die geschützt werden müssen, auch tatsächlich geschützt werden?
2. Und ob diejenigen, die nicht geschützt werden dürfen, auch weiter verfolgt werden können?