Haie, Haiattacken und Scheintransparenz.
Nicht für die Schule sondern für's Leben lernen wir.
In der Kürze liegt die Würze.
Ich komme hiermit dem Wunsch einiger fahmy.blog Leserinnen und Leser nach, die meinten, dass ich meine Beiträge kürzer schreiben sollte, da sie nicht so viel online lesen möchten. Online sollen die Texte kürzer sein.
Diesem Wunsch spricht nichts dagegen. Ja, ich selbst liebe kurze und prägnante Texte, wobei kurz und prägnant so wie alles im Leben relativ sind. Kurze und prägnante Texte vermögen auch ganze Bücher zu füllen, wenn es die Sache erfordert, die in dem Text behandelt wird. Sehr oft ist ein bisschen Text notwendig, um ein wenig zu erklären oder vorauszuschicken und vor allem um Missverständnissen vorzubeugen. Das ist eine Binsenweisheit: Denn je kürzer ein Text ist, desto mehr kann dieser Text missverstanden werden.
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Haie und Haiattacken
Es ist Hochsommer: Urlaubszeit, Badezeit. Viele Menschen verbringen ihren Urlaub oder Freizeit derzeit am Meer – zumindest auf der Nordhalbkugel. Demnach darf für bestimmte Zeitungsartikel wie jenen mit dem Titel „Jaws: Die haifischreichsten Gewässer der Welt“ großes Interesse erwartet werden.
Neben der Headline (Überschrift) löst schon der Anreißer (teaser) des Artikels Nervenkitzel, Angst und die Lust nach mehr aus:
„Hai-Sichtungen in der Nähe beliebter Strände sorgen auch in diesem Sommer für Schlagzeilen. Die folgenden Orte sollte man jedenfalls meiden, wenn man keinem der Raubfische begegnen möchte. […]“ („Jaws: Die haifischreichsten Gewässer der Welt“; DerStandard, 26. Juli 2023, 11:59)
Solche Teaser garantieren ungeteilte Aufmerksamkeit und Neugier. Erinnerungen an Steven Spielbergs Klassiker JAWS (Deutsch: Der weiße Hai) scheinen bewusst geweckt.
Dazu ein Angsteinflössendes Foto (AP/Discovery, Inc.) von einem riesigen Hai – eigentlich seines messerscharfen Gebisses – und ein Kurzvideo, das eine Haiattacke zeigt (Huge tiger shark bites fisherman’s kayak off coast of Hawaii in wild video | New York Post) und hohe Klickzahlen und Teilungsraten in den Sozialen Medien sind der Zeitung sicher.
Ein paar Zeilen weiter werden ohnehin die Headline und der Teaser des Zeitungsartikels wieder relativiert:
Es sei ohnehin nicht so schlimm, unsere Meere seien statistisch gesehen sicher. Bei einer Weltbevölkerung von 8 Milliarden Menschen wären ohnehin nur 57 (unprovozierte) Haiattacken und 5 Todesfälle gemeldet worden. Die Wahrscheinlichkeit von einem Hai gebissen zu werden, betrage mehr als 1: 4.000.000. Als Quellen werden der US-amerikanische Nachrichtensender CNN und eine Datenbank – die ISAF (International Shark Attack File) genannt. Danach kommen noch einige Detailinformationen, die die meisten, wenn überhaupt nur mehr überfliegen.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Somit scheint der wohlverdiente Badeurlaub am Meer sogleich auch wieder gerettet…
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So weit – so gut, ich könnte hier meinen eigenen Beitrag beenden, da ich davon ausgehe, dass Sie – meine geschätzte Leserin und mein geschätzter Leser – ähnlich über diesen bzw. diese Zeitungsartikel denken wie ich. Es gäbe dem an sich nichts mehr hinzuzufügen.
Außerdem sind in dem von mir oben zitierten Zeitungsartikel einige Zahlen und Quellenangaben enthalten. Diese habe ich in meinem Beitrag sogar noch ein wenig erweitert und mit den Originalbeiträgen von CNN und der New York Post verknüpft. Alle Zahlen und verwendeten Daten sind öffentlich zugänglich, womit es jeder Leserin und jedem Leser möglich ist, den Text selbst zu interpretieren. Somit soll der Transparenz genüge getan sein.
So einfach wie der Artikel ist, so gut ist er als Lehrbeispiel für die Mechanismen der Scheintransparenz.
Scheintransparenz
So funktioniert eine Scheintransparenz, das heißt eine Transparenz, die ihren Namen nicht verdient. Schein, pseudo und unecht treffen es viel eher.
Solche Mechanismen sind mir in meinem Bereich der medizinischen Forschung viel zu oft begegnet. Ich erkenne diese Mechanismen aber auch in vielen anderen Bereichen unseres Lebens. Tagtäglich so wie in Artikeln über Haiattacken oder viele medizinische Themen in den Medien. Denn wir Menschen neigen dazu Zahlen Glauben zu schenken. Zahlen vermitteln uns nüchterne faktische Unbestechlichkeit und Sicherheit.
Wir Menschen empfinden Zahlen als genau, trennscharf und objektiv, was Zahlen auch sind. Nur wir Menschen verwenden Zahlen oft unrichtig, bisweilen auch falsch und missbrauchen sie für unsere Zwecke:
- Zahlen und Statistik sollen den Inhalt des Artikels faktisch untermalen.
- Zahlen und Statistik sollen eine Richtigkeit und Genauigkeit anzeigen, wo oftmals keine ist.
- Zahlen und Statistik sollen den Inhalt des Artikels seine Richtigkeit bezeugen.
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Und weil ich mein Wort halten möchte und Beiträge so kurz wie möglich zu gestalten versuche, beende ich diesen Beitrag hier abrupt mit nur einer Frage: „Wie hoch ist das tatsächliche individuelle Risiko von einem Hai angegriffen zu werden?“
Weiterführende Literatur, um diese Frage gut beantworten zu können, finden Sie bitte in einem meiner Lieblingsbücher „How to lie with statistics“ von Darell Huff aus dem Jahre 1954. Dieses Buch ist aktueller denn je zuvor und nicht umsonst eines der bekanntesten Standardwerke.
Ihr
fahmy.blog
P.S. die Antwort auf meine abschließende Frage können Sie mir gerne als Kommentar hinterlassen oder mir schreiben. Danke.