Anti-soziale Medien | anti-social media Teil 1
Ich habe Facebook stets als die größte Sozialstudie gesehen, die die Welt je gesehen hat. Menschen verhalten sich anders, wenn sie in der Gruppe, in Rudeln oder in Massen auftreten und dem simplen Gruppenzwang oder der überwältigenden Magie der Masse erliegen. All das – die Psychologie der Massen – lässt sich mit Soziale Medien | Social Media gut studieren, fühlen sich die Studienobjekte – die Userinnen und User – doch gänzlich unbeobachtet und sind überzeugt, frei in ihrem Handeln zu sein. Die Userinnen und User glauben, von Algorithmen völlig unbeeinflusst zu sein und über Echokammern und sonstigen Manipulationen erhaben zu sein, womit sie bereits ihrer eigenen Manipulation Tür und Tor öffnen.
Die Sozialen Medien haben – wenn überhaupt – nur sehr wenig mit dem Begriff sozial gemein. Soziale Medien | Social Media ist ein perfekter Marketing-Begriff, der harmlos zum Dabeisein einlädt. Das lateinische Wort socialis suggeriert doch sozial zu sein und zur Gesellschaft zu gehören; dabei zu sein, akzeptiert zu werden und nicht alleine draußen zu stehen. Sozial sein, das heißt einander in einer Gesellschaft zu unterstützen und zu helfen, uneigennützig und aus eigenem Antrieb heraus. Immer das große Ganze vor Augen – dem Wohl der Gesellschaft, der man zugehörig ist – zu dienen, damit sie zum Wohl aller funktioniert.
Wie gesagt, Soziale Medien | Social Media ist ein perfekter Marketing-Begriff. Ein besserer Begriff als Soziale Medien | Social Media fällt mir nicht ein.
Der Begriff Soziale Medien | Social Media scheint aber durch die Realität, die sich in den Sozialen Medien abspielt, in sein Gegenteil pervertiert: In den sozialen Netzwerken wird beleidigt, unterstellt, verleumdet, hinterrücks intrigiert, manipuliert, gehetzt und ausgegrenzt und dies teils von Leuten in verantwortungsvollen – zum Teil öffentlichen – Positionen, um das eigene Ego zu befriedigen und die eigenen Anhänger zu mobilisieren.
Die Menschen verhalten sich wie eh und je, wenn der Mob auf Minderheiten, das heißt Andersdenkende und nicht Gleichgeschaltene losgeht. Der Cybermob beschimpft, grenzt aus, entwertet, lyncht und liquidiert wie schon immer: nicht mit dem Knüppel, der Mistgabel und dem Galgen, sondern mit Dislikes, Blockieren, Demütigung, Entwertung, Verleumdung, Verhetzung und Drohung. Viele verkennen, dass sie oft selbst Teil des Cybermobs sind, auch wenn sie oft nur still beobachten und zusehen. Nicht nur derjenige, der „Hängt ihn höher ruft!“ oder diejenige, die „Verbrennt die Hexe!“ schreit, sind schuldig, sondern auch alldiejenigen, die schweigen machen sich mitschuldig, auch wenn sie sich fürchten, selbst Opfer des aufgebrachten Mobs zu werden, wenn sie ihre Stimme für das Opfer erheben.
Die Sozialen Medien | Social Media offenbaren sehr oft das tiefst Innerste von Menschen und erlauben Menschen sehr leicht zu lenken, nicht einzeln, sondern als Masse, ähnlich einem großen Bus, Schiff oder Flugzeug, die die Passagiere an einen bestimmten Ort bringen.
Warum funktionieren Soziale Medien | Social Media so gut?
- Soziale Medien sind jederzeit verfügbar. Der Siegeszug der Sozialen Medien | Social Media ging Hand in Hand mit der Verbreitung von Smartphones. Soziale Medien sind durch Smartphones, solange die Akkus nicht leer sind, quasi jederzeit verfügbar. Die Smartphones sind unser geliebter Feind – enemy mine.
- Soziale Medien machen süchtig. Einmal angehaucht oder eingetaucht in die Welt der Sozialen Medien ist es schwierig, sich den Sozialen Medien zu entziehen. Wir Menschen sind von Grund auf neugierig, voyeuristisch und wollen auch unsere Meinung bestätigt wissen bzw. wissen, wie unsere Ansichten und Meinungen, wie wir selbst, von anderen gesehen werden. Wir lechzen förmlich nach Anerkennung und Bestätigung. Wir wollen dabei sein und können, einmal eingefangen, nur schwer loslassen.
- Soziale Medien konditionieren uns. Wie einem Esel, dem ständig eine Karotte vor die Nase gehalten wird, wird die Aufmerksamkeit der User und Userinnen mit ständig neuen Push-Nachrichten wieder auf ihr Smartphone gelenkt und die User und Userinnen mit neuen News in ihren Newsfeeds gefüttert. Die User und Userinnen werden, ob sie wollen oder nicht, an der Stange gehalten oder in die eine oder andere Richtung bewegt, die ein durch persönliche Präferenzen abgestimmter Algorithmus vorgibt. Wie diese Algorithmen arbeiten, ist aber ein streng gehütetes Geheimnis.
- Soziale Medien befriedigen die Eitelkeit. Viele User und Userinnen gieren förmlich nach Bestätigung und Anerkennung durch Beifall in der Menge „Gefällt mir“ Angaben, sogenannten likes. Viele User und Userinnen bewerten Influencer, was auch immer sich hinter diesem Begriff verbergen mag, nach der Anzahl ihrer Follower, die deren Profil folgen und deren Kanal abonniert haben. Die Formel hierfür ist einfach: Je mehr Follower desto mehr Impact, das heißt Reichweite und Einfluss haben Influencer. Anders ausgedrückt, Masse statt Klasse – Quantität statt Qualität.
- Soziale Medien erzeugen die Illusion von Freundschaften. Der Begriff von Freunden | friends ist genial, vermittelt er doch tiefe freundschaftliche Verbundenheit. Eine Verbundenheit, die in den allermeisten Fällen nie existiert hat und nie existieren wird, da sich die Netzwerkpartner der Sozialen Medien – die User und Userinnen – in der Regel noch nie persönlich getroffen haben und auch nie persönlich treffen werden.
- Soziale Medien befriedigen die Sehnsucht nach Geborgenheit und Schutz in einer großen Gruppe. „Wenn viele gleich denken und handeln, dann kann dies nicht falsch sein“, so der Trugschluss, der jede Selbstreflexion ausschaltet und Individuen gleichschaltet und das Individuum damit ausschaltet. Die Herde bot seit jeher Schutz für einzelne durch ihre Masse und in ihrer Masse. Sehnsucht nach Geborgenheit und Schutz in der Masse sind der tiefst innerste instinktive Mechanismus – der Überlebenstrieb, deren sich die Propaganda autoritärer Regime bedient, um Individuen gleichzuschalten und im Gleichschritt in das Verderben anderer und ihr eigenes marschieren lassen.
- Soziale Medien befriedigen den Geltungsdrang und Wichtigtuerei. Noch nie war es für einzelne so einfach, ihre Ansichten und Meinungen zu verbreiten. Wofür es früher Expertise, Knowhow und Technik und vor allem viel Geld benötigte, braucht es heute nur mehr ein Smartphone, um in wenigen Minuten Texte und Videos über den Äther über den ganzen Erdball zu schicken. Sehr oft scheinen der Geltungsdrang und der Wunsch, bedeutend und berühmt zu sein, dem tatsächlichen Vermögen und Können nachzuhinken – ein klassischer Fall von einem „Ich-will-und-kann-nicht-Syndrom„.
- Es ist ganz leicht, einen Kommentar abzugeben, als selbst von der Pike auf einen eigenen Beitrag zu schreiben. Die Hemmschwelle in Sozialen Medien | Social Media mit nur wenigen Worten eine eigene Marke zu hinterlassen, ist außerordentlich gering und gibt vielen das Gefühl, dabei zu sein und vielleicht auch wesentliches beigetragen zu haben.
- Noch viel leichter, als ein paar Worte zu schreiben, ist es, einen Daumen nach oben, einen Daumen nach unten, ein paar Sterne zu vergeben oder ein Emoji hie und da zu hinterlassen, um der eigenen Begeisterung oder Empörung Ausdruck zu verleihen. Emojis erlauben es, die Unzulänglichkeiten in der eigenen Rechtschreibung zu verbergen und sich auch alles offen zu halten, da viele Emojis je nach Zusammenhang so oder so interpretiert werden können.
- Soziale Medien sind vermeintlich gratis. Soziale Medien bedienen die Geiz ist Geil Mentalität – für ein Profil, einen Account oder Konto muss nichts aus dem eigenen Portemonaie bezahlt werden. Bezahlt würde nur mit ein paar, vermeintlich wenig wertvollen, persönlichen Daten. Aber irgendwie scheinen sich die paar vermeintlich wenig wertvollen Daten zu rechnen, wie ein flüchtiger Blick auf die Milliarden-schweren Gewinne an den Kapitalmärkten beweist.