Die Kunst des Herumwurschtelns
Das Österreichische Gesundheitswesen. Teil 1a: Apocalypto - was noch gesagt werden muss.
Ein offener Brief.
Nachtrag zu Teil 1: Downgrading | Apocalypto (online am 22.09.2023)
Zusammenhänge, die im ersten Beitrag Apocalypto nicht näher beleuchtet werden konnten.
Die Kunst des Herumwurschtelns
Der Fleckerlteppich – ein Stückwerk an Einzelmaßnahmen.
Ich wundere mich immer wieder, wer in bestimmten Arbeitskreisen und Reformgruppen sitzt? Und welchen politischen Interessen echte Reformen geopfert werden?
Ich verstehe nicht und werde auch nie verstehen, warum nicht ein Gesamtpaket mit konkreten Umsetzungsplänen und zeitlichem Horizont ausgearbeitet wird, auf Herz und Nieren geprüft und erst dann verhandelt wird?
Das österreichische Gesundheitssystem ist so komplex, dass mit einem Stückwerk und vielen kleinen Einzelmaßnahmen vielleicht manche Kleinigkeiten hie und da geflickt werden können, aber letztendlich große Strukturprobleme nicht gelöst werden (können).
Und wenn einmal große Reformen angekündigt werden, stellen sich diese meist als höchst ineffizient – als Rohrkrepierer – heraus.
Dies war 2012 bei der elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) (siehe auch, Artikel vom 14.09.2022 auf gesundheitswirtschaft.at) und zuletzt auch 2018 bei der versprochenen Patientenmilliarde so:
Leere Versprechen und Marketing-Gag
Bereits als das Wort Patienten-Milliarde von der schwarz-blauen Bundesregierung unter Bundeskanzler Kurz, Vizekanzler Strache und der Gesundheitsministerin Hartinger Klein 2018 ausgesprochen wurde, war jedem gelernten Österreicher und jeder gelernten Österreicherin klar, dass niemals eine Milliarde Euro durch Steigerung der Effizienz eingespart und Patienten und Patientinnen zu Gute kommen würde, sondern am Ende sogar mehr kosten würde. Diese Annahme sollte sich letztendlich bestätigen, siehe
- Rechnungshofbericht vom 16.12.2022
- Presseinformation: Reform der Sozialversicherungsträger – Fusion – Finanzielle Lage
- Tätigkeitsbericht des Rechnungshofes vom 28.12.2022
Im Jänner 2024 verteidigten die ÖVP und die FPÖ die Sozialversicherungsreform noch
- Parlamentskorrespondenz Nr. 64 vom 31.01.2024, Nationalrat: SPÖ mahnt in Kurzdebatte Patientenmilliarde ein; ÖVP und FPÖ verteidigen Sozialversicherungsreform
Und ELGA?
ELGA ist ein riesengroßer Datenmoloch ohne Quervernetzung und einer Nicht-Benutzerfreundlichkeit, die auch haftungsrechtlich bedenklich scheint.
Österreichisches Spezifikum
Es ist ein österreichisches Spezifikum, dass die ehemalige Gesundheitsministerin Hartinger Klein Jahre später 2024 im parlamentarischen Untersuchungsausschuss unter Wahrheitspflicht ohne jegliche Konsequenzen aussagte, dass die Patientenmilliarde ein reiner Marketing-Gag war.
Es ist auch ein österreichisches Spezifikum, dass es ohne Konsequenzen bleibt, wenn Dokumente über teure Beraterverträge (ohne Preisvergleich) entweder nicht mehr auffindbar sind oder für 25 Jahre als „Privatakten“ von der damaligen Bundesministerin Hartinger Klein versiegelt in das Österreichische Staatsarchiv übergeben wurden und sohin einer weiteren Untersuchung entzogen worden sind.
***
Ich selbst habe im Laufe von Jahrzehnten das österreichische Gesundheitssystem
im Studium
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- als Student und studentischer Mitarbeiter der (damals noch) medizinischen Fakultät der Universität Wien,
nach dem Studium
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- als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung für Neuroimmunologie des Hirnforschungszentrum der Medizinischen Universität Wien (MUW),
- als Turnusarzt in Ausbildung zum Facharzt für Neurologie,
nach meiner Facharztausbildung
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- als Spitalsarzt und Spitalsoberarzt und letztendlich
- als niedergelassener Privatarzt
und auch als Patient
kennenlernen dürfen.
Von außen betrachtet.
In Wirklichkeit habe ich aber bereits als Jugendlicher die österreichische Standespolitik kennenlernen dürfen.
Rechtzeitig vor den Ärztekammer-Wahlen wurde der Ton rauer: Regelmäßig musste ich hören, dass die Standesvertreter lautstark forderten, dass die Honorare für Kassenvertragsärzte und Kassenvertragsärztinnen erhöht werden müssten.
Regelmäßig musste ich mitanhören, dass die Standesvertreter drohten, dass, wenn die Honorare nicht erhöht würden, die Kassenärzte und Kassenärztinnen ihre Kassenverträge zurücklegen würden, und die Krankenkassen einen vertragslosen Zustand zu verantworten hätten.
Regelmäßig hörte ich meinen Vater – er war praktischer Arzt in Wien Meidling – und meine Mutter – sie war Krankenschwester – darüber debattieren. Zuerst unter Ärztekammer-Präsident Dr. Neumann (1986 – 1999), danach unter Ärztekammer-Präsident Dr. Dorner (1999 – 2012).
Perpetuum mobile
So regelmäßig wie das Gepolter vor Verhandlungen mit dem Hauptverband (der österreichischen Sozialversicherungsträgern), insbesondere vor Ärztekammer-Wahlen, immer wieder kehrte, so regelmäßig folgten dann auch die Jubelmeldungen, dass man sich doch einigen konnte und Schaden von Patienten und Patientinnen und auch Ärzten und Ärztinnen abwenden habe können.
Ein Kreis, der sich nie zu schließen scheint – ein ewiges Perpetuum mobile.
Von innen betrachtet.
Viele Jahre später – 2006 – wurde ich selbst als Mandatar in die Vollversammlung der Wiener Ärztekammer gewählt und durfte die Standespolitik von innen kennenlernen.
Turnusärzte-Vertreter
Ich ließ mich auf Wunsch vieler Kolleginnen und Kollegen zur Wahl des Turnusärzte/innen – Vertreters aufstellen. Ich gewann die Wahl und nahm das Mandat an. Damals war ich bereits in Ausbildung zum Facharzt für Neurologie und hatte einige wissenschaftliche Publikationen publiziert.
„Dies sei unüblich“, wurde mir unisono von Fach- und Oberärzten und -ärztinnen gesagt, da ich ohnehin schon eine Stelle zur Facharzt-Ausbildung innehatte und in meiner eigenen Ausbildung bereits weit fortgeschritten war.
Turnusärztevertreter/in würde nur – so die mahnenden Stimmen – wer „weiterkommen“ möchte, sprich wer eine Ausbildungsstelle zum medizinischen Sonderfach (kurz Facharztausbildung) über die Ausbildung zur Allgemeinmedizin hinaus haben möchte.
Außerdem bräuchte ich ohnehin keine Routine-Blutdruck-Messungen mehr machen, Subkutan-Injektionen und Venenverweilkanülen mehr setzen oder Routine-Blutabnahmen machen. Mein Frondienst wäre ohnehin bald zu Ende.
Ich sollte mich ausschließlich um meine eigene Facharztausbildung kümmern. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte ich beinahe auch schon die Kriterien für meine Habilitation im Fach Neurologie, da ich bereits vor meiner klinischen Ausbildung wissenschaftlich in der Grundlagenforschung zu arbeiten begonnen hatte und meine wissenschaftliche Tätigkeit auch während meiner klinischen Ausbildung fortführte.
(Anmerkung: Kurz später suchte ich auf Erteilung der Venia docendi an der Medizinischen Universität Wien and und reichte meine Unterlagen ein. Anschließend musste ich jahrelang auf den Kommissionsbeschluss zur Zulassung meines Habilitationskolloquiums warten. Ich erlebte eine Willkür (die aber nur von einem Kommissionsmiglied ausgegangen sein dürfte), die ihresgleichen erst finden muss und an das Schloss von Kafka erinnert.
Aber dies ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht ein anderes Mal, aber „nicht geschwärzt“ erzählen werde).
Trotzdem nahm ich das Amt des Vertreters der Turnusärzte und Turnusärztinnen, die sich in Ausbildung zum Arzt bzw. Ärztin für Allgemeinmedizin, aber auch zum Facharzt oder Fachärztin befanden, an.
Ich wollte auch in Österreich „normale“, das heißt international übliche Verhältnisse.
Die paramedizinischen Tätigkeiten – in Österreich als delegierbaren Tätigkeiten des mitverantwortlichen Tätigkeitsbereichs gesetzlich normiert (§49(3) des Ärztegesetzes und §15 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes), sollten auch wieder tatsächlich von Ärzten und Ärztinnen an die Pflege delegiert werden können, das heißt angeordnet werden können. Und dies obwohl ich mich zum Handwerk Medizin bekenne.
Ärztegesetz 1998
§49 Behandlung der Kranken und Betreuung der Gesunden
(3) Der Arzt kann im Einzelfall an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufes umfasst sind. Er trägt die Verantwortung für die Anordnung. Die ärztliche Aufsicht entfällt, sofern die Regelungen der entsprechenden Gesundheitsberufe bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten keine ärztliche Aufsicht vorsehen.
Gesundheits- und Krankenpflegegesetz
§15 Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie
(1) Die Kompetenzen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege bei medizinischer Diagnostik und Therapie umfassen die eigenverantwortliche Durchführung medizinisch-diagnostischer und medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und Tätigkeiten nach ärztlicher Anordnung.
(2) Im Rahmen der Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie haben ärztliche Anordnungen schriftlich zu erfolgen. Die erfolgte Durchführung ist durch den Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege zu dokumentieren.
(3) Die ärztliche Anordnung kann mündlich erfolgen, sofern
- die Dringlichkeit der Maßnahmen und Tätigkeiten dies erfordert oder diese bei unmittelbarer Anwesenheit des anordnenden Arztes vorgenommen werden und
- die Eindeutigkeit und Zweifelsfreiheit der Anordnung sichergestellt sind.
Eine Übermittlung der schriftlichen Anordnung per Telefax oder im Wege automationsunterstützter Datenübertragung ist nach Maßgabe des Gesundheitstelematikgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 111/2012, zulässig, sofern die Dokumentation gewährleistet ist. Die schriftliche Dokumentation der ärztlichen Anordnung hat unverzüglich zu erfolgen.
Die Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie umfassen insbesondere:
- Verabreichung von Arzneimitteln, einschließlich Zytostatika und Kontrastmitteln,
- Vorbereitung und Verabreichung von Injektionen und Infusionen,
- Punktion und Blutentnahme aus den Kapillaren, dem periphervenösen Gefäßsystem, der Arterie Radialis und der Arterie Dorsalis Pedis sowie Blutentnahme aus dem zentralvenösen Gefäßsystem bei liegendem Gefäßzugang,
- Legen und Wechsel periphervenöser Verweilkanülen, einschließlich Aufrechterhaltung deren Durchgängigkeit sowie gegebenenfalls Entfernung derselben,
- Wechsel der Dialyselösung im Rahmen der Peritonealdialyse,
- Verabreichung von Vollblut und/oder Blutbestandteilen, einschließlich der patientennahen Blutgruppenüberprüfung mittels Bedside-Tests,
- Setzen von transurethralen Kathetern zur Harnableitung, Instillation und Spülung bei beiden Geschlechtern sowie Restharnbestimmung mittels Einmalkatheter,
- Messung der Restharnmenge mittels nichtinvasiver sonographischer Methoden einschließlich der Entscheidung zur und Durchführung der Einmalkatheterisierung,
- Vorbereitung, Assistenz und Nachsorge bei endoskopischen Eingriffen,
- Assistenztätigkeiten bei der chirurgischen Wundversorgung,
- Entfernen von Drainagen, Nähten und Wundverschlussklammern sowie Anlegen und Wechsel von Verbänden und Bandagen,
- Legen und Entfernen von transnasalen und transoralen Magensonden,
- Durchführung von Klistieren, Darmeinläufen und -spülungen,
- Absaugen aus den oberen Atemwegen sowie dem Tracheostoma,
- Wechsel von suprapubischen Kathetern und perkutanen gastralen Austauschsystemen,
- Anlegen von Miedern, Orthesen und elektrisch betriebenen Bewegungsschienen bei vorgegebener Einstellung des Bewegungsausmaßes,
- Bedienung von zu- und ableitenden Systemen,
- Durchführung des Monitorings mit medizin-technischen Überwachungsgeräten einschließlich Bedienung derselben,
- Durchführung standardisierter diagnostischer Programme,
- Durchführung medizinisch-therapeutischer Interventionen (z. B. Anpassung von Insulin-, Schmerz- und Antikoagulantientherapie), insbesondere nach Standard Operating Procedures (SOP),
- Anleitung und Unterweisung von Patienten sowie Personen, denen gemäß § 50a oder § 50b ÄrzteG 1998 einzelne ärztliche Tätigkeiten übertragen wurden, nach Maßgabe der ärztlichen Anordnung.
(5) Im Rahmen der Kompetenzen bei Diagnostik und Therapie sind Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege berechtigt, nach Maßgabe der ärztlichen Anordnung
- an Angehörige eines Pflegeassistenzberufs, der Desinfektionsassistenz, der Ordinationsassistenz und der Operationsassistenz und
- an in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen
einzelne ärztliche Tätigkeiten weiter zu übertragen, sofern und soweit diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind, und die Aufsicht über deren Durchführung wahrzunehmen.
Im Rahmen der Kompetenzen bei Diagnostik und Therapie sind Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege berechtigt, nach Maßgabe der ärztlichen Anordnung folgende Tätigkeiten im Einzelfall an Personen gemäß § 3b und § 3c weiter zu übertragen:
- Verabreichung von Arzneimitteln,
- Anlegen von Bandagen und Verbänden,
- Verabreichung von subkutanen Insulininjektionen und subkutanen Injektionen von blutgerinnungshemmenden Arzneimitteln,
- Blutentnahme aus der Kapillare zur Bestimmung des Blutzuckerspiegels mittels Teststreifens,
- einfache Wärme- und Lichtanwendungen.
- 3b Abs. 3 bis 6 und § 3c Abs. 2 bis 5 sind anzuwenden.
Im Rahmen der Kompetenzen bei Diagnostik und Therapie sind Angehörige des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege berechtigt, nach Maßgabe der ärztlichen Anordnung an Personen gemäß § 50a ÄrzteG 1998 einzelne ärztliche Tätigkeiten weiter zu übertragen und die erforderliche Anleitung und Unterweisung zu erteilen. Sie haben sich zu vergewissern, dass diese über die erforderlichen Fähigkeiten zur Durchführung der Tätigkeiten verfügen, und auf die Möglichkeit der Ablehnung der Übertragung der entsprechenden ärztlichen Tätigkeiten gesondert hinzuweisen. Familien- und pflegschaftsrechtlich gebotene Maßnahmen bleiben unberührt.
Es ist auch ein österreichisches Spezifikum, dass darüber überhaupt jahrzehntelang diskutiert werden musste.
Ich erlebte vieles, das ich nie erleben wollte. Unter anderem erlebte ich Mobbing am eigenen Leib, sodass ich knapp daran war, ins Ausland zu gehen…. aber diese Geschichte werde ich hier jetzt nicht erzählen, um meinen guten Neujahrsvorsatz nicht zu brechen.
Medizin – ein besonderes Handwerk
Natürlich müssen wir Ärzte und Ärztinnen, spätestens im Notfall, einen intravenösen Zugang legen können, sprich wir müssen unser Handwerk erlernen, perfektionieren und üben.
So sehr ich mich zum Handwerk Medizin bekenne, so sehr missfiel mir,
dass das Können von Ärzten und Ärztinnen daran bemessen wurde, wie gut ein Arzt oder Ärztin eine Vene zu punktieren vermag, und
dass die allermeisten diplomierten Kranken- und Gesundheitspflege-Personen (DGKP) keine Vene mehr punktieren konnten,
wie es im Gesetz vorgesehen wäre und international üblich wäre (siehe zu diesem Thema auch Beitrag Apocalypto oder im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz § 15 Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie).
Die freiwerdenden zeitlichen Ressourcen sollten für die ärztliche Ausbildung genutzt werden, insbesondere
- dem frühen eigenverantwortlichen Untersuchen von Patienten und Patientinnen,
- dem Erstellen von therapeutischen und diagnostischen Konzepten und
- letztendlich deren Behandlung und dem Schreiben von Arztbriefen unter Supervision: Klassisches bedside teaching.
Ich nutzte die Gunst der Stunde:
Der Krankenanstaltenverbund (KAV) (nun Wiener Gesundheitsverbund (WiGeV)) richtete Arbeitsgruppen ein, die bestimmte Bereiche reformieren sollten. Ich reklamierte mich als Vertreter der Turnusärzte und -ärztinnen in die Arbeitsgruppe hinein, die den Tätigkeitsbereich Medizin – Pflege im sogenannten Arbeitspaket 7 (AP7, Arbeitspaket 7) verbessern sollte (Anmerkung: der Link zum AP7 ist seit der Veröffentlichung dieses Blogbeitrags nicht mehr auffindbar und führt auf eine ganz andere Seite). In der ersten Sitzung, in der einzelne Arbeitsgruppen konstituiert wurden, brachte ich das Thema paraklinische Tätigkeiten aufs Tapet und setzte gegen einen nicht unbeträchtlichen Widerstand argumentativ durch, dass dieses Thema überhaupt behandelt wurde. In den darauffolgenden AP7-Sitzungen waren die paraklinischen Tätigkeiten – der sogenannte mitverantwortliche Tätigkeitsbereich – einziges Thema, über das heftig diskutiert und mitunter gestritten wurde.
So schließt sich der Kreis.
Zur anstehenden Ärztekammer-Wahl bekam ich von mehreren Fraktionen das Angebot, mich als Kandidat aufstellen zu lassen. Ich entschied mich für eine Fraktion ohne jegliche Nähe zur Parteipolitik. Ich war und bin nach wie vor überzeugt, dass Parteipolitik nichts in Standespolitik, hier Kammerpolitik, zu suchen hat und strikt voneinander zu trennen sind.
Zu Wahlkampzeiten erlebte ich, wie Wahlwerber und Wahlwerberinnen von anderen Fraktionen Einzelpositionen aus dem Gesamtpaket des Arbeitspaketes 7 herauslösen wollten, um einen „schnellen Erfolg“ für die bevorstehende Ärztekammer-Wahl für sich proklamieren wollten. Und dies bei Ärztekammer-Wahlen mit traditionell niedriger Wahlbeteiligung.
Zu diesem Zeitpunkt war ich (gerade) noch nicht in der Ärztekammer, fühlte mich aber bereits wie in der großen Politik: Dem Jahrmarkt der Kompromisse oder besser: panem et circenses – Brot und Spiele.
Kurz danach musste ich – bereits am Wahlabend, kurz nachdem das Endergebnis der Ärztekammer-Wahl 2007 bekannt gegeben wurde – sehen, wie für ein paar Posten und damit verbundener Macht und vor allem Geld Versprechen gebrochen wurden und Prinzipien verraten wurden, und dies auch noch schöngeredet wurde.
Reformstillstand statt Fortschritt
In den kommenden Jahren verstand ich den Reformstillstand im österreichischen Gesundheitssystem immer mehr.
Anstelle groß zu denken – think big – und wirklich große Reformen durchzusetzen, die eine maßgebliche Systemänderung mit sich bringen, wird fast mit System herumgewurschelt:
All jährlich wird ein völlig veralteter Leistungskatalog von Ärztekammer und Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger verhandelt, obwohl viele Punkte in dem Katalog obsolet sind, das heißt in der Praxis heutzutage nicht mehr angewendet werden können.
Immer wieder werden die Tarife für Leistungen in dem Katalog um ein paar Prozentpunkte erhöht, um als gangbarer Kompromiss – als Win-Win-Situation – für beide Seiten verkauft zu werden.
Echte Systemänderungen, die sich so viele schon so lange wünschen, sind logischerweise so nicht möglich.
So wird das System weiter gefestigt und einzementiert. Der Stillstand ist vorprogrammiert.
Schlusswort
Am Ende sei nochmals klar angemerkt, dass nicht die Digitalisierung, Geräte und sonstiger technischer Schnickschnack der Kern jedes Gesundheitssystems waren und sind, sondern die fachliche Expertise und Fertigkeiten und demnach die Ausbildung des medizinischen Personals, das in diesem System arbeitet und dieses System mit seiner Expertise und Fertigkeiten gestaltet.
Die Qualität des österreichischen Gesundheitswesens soll und darf aber entgegen einer gemeinläufigen in Österreich weit verbreiteten Meinung zum Trotz, aber nicht an Ausnahmetalenten, sondern wie in der Technik am schwächsten Glied der Kette bemessen werden. Eine Kette ist immer nur so stark wie ihr schwächstes Glied.
Ausnahmetalente und sehr gute Ärzte und Ärztinnen gibt es in jedem System. WIe gesagt, werden Gesundheitssysteme üblicherweise aber nicht an möglichen Spitzenleistungen, sondern am Durchschnitt und worst case Szenarios bewertet.
Anspruch
Unser österreichischer Anspruch muss aber endlich sein, dass unsere Schwächsten besser sind als die Besten anderswo.
Wir wollen und sollen Erste und nicht Drittvorletzte oder sogar Letzte sein.
Mit Leistung und Fortschrittsgedanken, anstatt von Neid und Raunzerei.
Für Rückfragen und konstruktive Diskussionen stehe ich zur Verfügung.
Ihr
Fahmy Aboulenein-Djamshidian
Facharzt für Neurologie
Es ist nicht wichtig,
wer bewirkt,
sondern dass bewirkt wird.