Datenausverkauf aggregierter Daten?
Das Österreichische Gesundheitswesen. Teil 5: von ELGA und aggregierten Daten.
Datenausverkauf?
ein offener Brief.
Die Beiträge des offenen Briefes:
Das österreichische Gesundheitswesen
- Teil 1: Downgrading | Apocalypto (online am 22.09.2023)
- Teil 2: Prolog | Medizin, Recht und Wirtschaftlichkeit (online am 23.10.2023)
- Nachwort zu Teil 1: Die Kunst des Herumwurschtelns | Teil 1a: Apocalypto, was noch gesagt werden muss (online am 06.09.2024)
- Teil 3: Über Effektivität und Effizienz (online am 20.09.2024)
- Teil 4: Wir schielen gerne auf Elite-Unis… (online am 04.10.2024)
- Teil 5: Organisationsverschulden (online am 18.10.2024)
- Teil 6: Der Honorarkatalog: eine wesentliche Stellschraube | Ich würde sofort einen Kassenvertrag annehmen, … (online am 08.11.2024)
- Teil 7: Die Pharmafalle (online am 29.11.2024)
- Teil 8: Datenausverkauf aggregierter Gesundheitsdaten (online am 13.12.2024)
Datenausverkauf durch Digitalisierung?
Ein Datenausverkauf unserer individuellen, aber insbesondere auch unserer aggregierten Gesundheitsdaten muss verhindert werden. Individuelle Gesundheitsdaten sind an sich gesetzlich besonders geschützt, aber wie verhält es sich bei sogenannten aggregierten Daten?
Um einen Datenausverkauf zu verhindern, müssen wir als Bürger:innen und unsere politischen Verantwortlichen verstehen, was aggregierte Daten sind und warum auch diese besonders wertvoll sein können.
Aggregierte Gesundheitsdaten, auch Makrodaten genannt
Keine Sorge. Bis auf persönliche Feinde oder besonders neugierige, schadenfrohe oder sensationslüsternde Zeitgenossen ist niemand an individuellen Gesundheitsdaten interessiert. Niemanden interessiert, ob Person X an Bluthochdruck, Person Y an Diabetes mellitus (= Blutzuckerkrankheit) und Person Z vielleicht an beidem erkrankt ist, wann die Diagnosen gestellt wurden und welche Medikamente die Personen X, Y oder Z in der Vergangenheit verschrieben bekommen haben beziehungsweise aktuell einnehmen. Diese individuellen Gesundheitsdaten sind üblicherweise für die allermeisten Menschen gänzlich uninteressant und außerdem gesetzlich, das heißt durch den Datenschutz, besonders geschützt.
Bestimmte Firmen wären an solchen individuellen Gesundheitsdaten natürlich interessiert, dürfen aber individuelle Daten aus datenschutzrechtlichen Gründen weder sammeln noch einsehen.
Kurz, solche individuellen Gesundheitsdaten haben Firmen nicht zu interessieren.
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Demgegenüber stehen sogenannte aggregierte Gesundheitsdaten.
Aggregierte Gesundheitsdaten setzen sich aus vielen individuellen Einzeldaten zusammen. Das Wort aggregiert kommt aus dem Lateinischen und bedeutet zusammenfassen (lat.: aggregare).
Einfach erklärt, mit einem guten aggregierten Datensatz wüsste ich beispielsweise wie viele Männer und Frauen in Wien in welchem Alter und wie viele Jahre schon an Bluthochdruckkrankheit leiden, vielleicht sogar in welchen Bezirken, welche Präparate sie wie lange und in welcher Dosis einnehmen, aber nicht genau wer? Ich kann aus diesem aggregierten Datensatz nicht auf einzelne Personen rückschließen.
Die Persönlichkeitsrechte einzelner sind somit gewahrt.
Das heißt aber nicht, dass damit alles in Ordnung wäre.
Der klassische Denkfehler:
Wir stufen vieles als als unbedenklich ein, wenn es nur datenschutzkonform ist.
Goldwert
Und genau diese vermeintliche Schwäche von aggregierten Daten ist ihre Stärke. Denn aggregierte Daten können verwendet werden, während Individualdaten nicht verwendet werden dürfen. Einfach ausgedrückt, Individualdaten müssen in der Schublade bleiben. Wir Ärzte:innen obliegen der Verschwiegenheitspflicht.
Nichtsdestotrotz dürfen Individualdaten aber unter besonderen Sicherheitskautelen anonymisiert zu aggregierten Gesundheitsdaten zusammengefasst werden.
So können aggregierte Daten im gesetzlichen Rahmen nahezu beliebig weiter für wissenschaftliche Zwecke analysiert werden, aber auch marktwirtschaftlicher beziehungsweise werbetechnischer Nutzen daraus gezogen werden.
Aggregierte Daten (Makrodaten) von Patienten:innen sind somit goldwert.
Nutzen für Wissenschaft und Industrie
Dass die Wissenschaft an aggregierten Daten interessiert ist, aber auch die Gesundheitspolitik an aggregierten Gesundheitsdaten interessiert sein muss, liegt auf der Hand.
Die Wissenschaft will weitere wissenschaftliche Erkenntnisse, die Politik muss Effektivität und Effizienz der Leistungen und eingesetzten Mitteln prüfen.
Wichtig ist, dass die wissenschaftliche Nutzung natürlich gesetzlich erlaubt sein muss, aber dass die gesetzlichen Bestimmungen einen „Datenausverkauf“ verhindern.
Die Industrie möchte ihre Produkte verkaufen, ihre Mittel möglichst effizient und kostengünstig einsetzen und ihren Gewinn maximieren. Das ist auch nicht verwerflich, sondern sinnvoll und natürlich geboten.
Aggregierte Daten können dabei helfen. Denn sie erlauben den Rückschluss, wo gezielt „nachgebessert“ werden müsste.
Ich erlaube mir, dass vorhin genannte Beispiel mit der Bluthochdruckkrankheit weiter fortzudenken:
Angenommen ich wäre Manager einer großen Firma, die mehrere Blutdruckmedikamente in Österreich vertreibt, dann würde ich als Verantwortlicher versuchen, aus aggregierten einem österreichischen aggregierten Datensatz für den Verkauf meines Produkts wichtige Informationen zu ziehen.
Ich könnte sehen bzw. abschätzen,
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- wie viele potenzielle Patient:innen in Österreich, in den Bundesländern, Städten usw. leben (= Gesamtheit aller mit arterieller Bluthochdruckkrankheit Diagnostizierten)
- in welchen Regionen meine Firma mein Produkt bereits gut etabliert hat, das heißt an den Mann, an die Frau gebracht hat,
- wie meine Firma im Vergleich zur Konkurrenz liegt und
- wo meine Firma „nachbessern“ müsste, das heißt wo ich meine Marketingstrategie fokussieren lassen muss, um die Produkte meiner Firma zu verkaufen und den Umsatz meiner Firma zu steigern.
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Ich würde mich nie und nimmer für einzelne Personen interessieren. Warum auch? Das wäre schlichtweg ineffizient, viel zu anstrengend und wäre zudem auch rechtswidrig. Und es wäre vor allem nicht notwendig, da ich auf bereits zusammengefasste aggregierte Daten – Makrodaten – zurückgreifen könnte.
Außerdem ist in Österreich der Industrie bzw. Firmen die Direktwerbung von Arneimittel an Patienten:innen verboten.
Ich würde die Großdaten – Makrodaten – analysieren und mich zufrieden zurücklehnen, wenn ich in zahlreichen Regionen und Großstädten eine hohen Marktanteil meiner Produkte sehe.
Dann würde ich sehr effizient, meine Ressourcen auf die paar wenigen Regionen bündeln, wo ich noch mehr verkaufen könnte. Ich würde meine potenziellen Kunden:innen, das heißt Ärzten:innen und diversen Stakeholdern – mit verstärktem Einsatz und Mitteln von meinen Produkten zu überzeugen versuchen. Gezielt „nachbessern“.
Effizienz- und Umsatzsteigerung und Profitmaximierung sind grundsätzlich nichts Schlechtes und der Industrie auch nicht vorzuwerfen, solange dies im Rahmen der Gesetze und ohne Korruption oder sonstige unlautere Mittel geschieht.
Kurzum,
es wäre von immensem Wert zu wissen, wo beim Marketing nachgebessert werden müsste.
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Kein Datenausverkauf unserer aggregierten Daten
Unsere aggregierten Daten dürfen, wenn überhaupt, nicht unter ihrem Wert an die großen Datendienstanbieter und die Industrie verkauft werden.
Der Verkauf müsste völlig transparent vonstatten gehen und die Öffentlichkeit darüber gut informiert werden. Letztendlich können mit aggregierten Daten das Marketing und die Profite der Industrie maximiert werden.
Die Industrie – vor allem die großen Datendienstanbieter und Internetkonzerne – soll nicht (noch) mehr Geld mit unseren aggregierten Daten aus dem System ziehen können, das heißt:
Wenn wir unsere aggregierten Daten an die großen Datendienstanbieter und Internetkonzerne verkaufen würden, dann bitte zu einem sehr hohen, tatsächlich guten und angemessenen Preis und nicht zu einem vermeintlich guten Preis, der uns alle im Nachhinein noch viel mehr kosten wird, als wir für unsere aggregierten Daten von den großen Datendienstanbietern und Internetkonzernen erhalten haben.
Wenn großen Datendienstanbieter und Internetkonzerne bereit sind viel Geld für unsere aggregierten Daten auszugeben, gilt – bis das Gegenteil bewiesen ist, dass sie daraus ein Vielfaches der investierten Summe an Gewinn schöpfen werden. Sonst hätten sie wahrscheinlich kaum so viel Geld investiert.
- Ich will als Miteigentümer unser aller höchstpersönlicher Gesundheitsdaten im Falle des Verkaufs jedenfalls den besten und vor allem angemessenen Preis für unser aller aggregierten Daten ausverhandelt wissen.
- Ich will als Miteigentümer unser aller höchstpersönlicher Gesundheitsdaten im Falle des Verkaufs nicht durch einen vermeintlich guten Preis, der die „leeren Staatskassen“ vielleicht für eine Legislaturperiode füllt, über den Tisch gezogen werden.
- Ich fordere volle Transparenz.
Ich stehe für Rückfragen und etwaige Verhandlungen sehr gerne zur Verfügung (da ich hierin auch eine gewisse Erfahrung habe),
Ihr
Fahmy Aboulenein-Djamshidian
Bild: Digiversum, (c) 2024 fahmy.blog
Sandra Petschnek
14/12/2024 @ 20:51
Ihr Blog ist phantastisch und goldwert !!👍Danke hierfür!